Reise Reportage

Scheinbar verloren – Kampf um die Bewahrung eines Teils der Cenoten

Der Kampf um die Bewahrung eines wichtigen Teils des Cenoten- und Dschungel-Systems auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán scheint verloren. Der Bau des umstrittenen »Tren Maya«-Projekts wird nun vom Militär verwaltet – mit all seinen Konsequenzen.

Martin Strimska

Rückblick: Nach einer 30-minütigen Fahrt durch den Dschungel hält unser Pick-up an einem 20 Meter breiten, mit Wasser gefülltem Krater. Dirk steigt aus dem Auto und geht den schmalen Waldweg hinunter. Als er am Kraterloch ankommt, wird die superheiße, trockene Luft durch eine etwas kühlere und feuchtere Brise ersetzt.

Dirk bleibt stehen, um die Stille zu genießen und sich den Wind um die Nase wehen zu lassen, bevor er anfängt, über die Maya zu sprechen, über die Schönheit des Dschungels von Yucatán, über Jaguare, Vögel und andere Kreaturen, die hier in Harmonie mit dem Wald leben.

Und über die verborgene Wasserquelle, die seit Millionen von Jahren die Elemente des örtlichen Ökosystems miteinander verbindet. Als es dann um das Höhlentauchen geht, leuchten Dirks Augen. Das war im August 2019 an einem der Eingänge zum Nohoch-Nah-Chich-Höhlensystem.

Wenn man vier Jahre später an der gleichen Stelle steht, fühlt sich das Erlebnis anders an. Allein schon die Anfahrt: Die Straße durch den Dschungel ist durch riesige Bauanlagen unterbrochen. Das Gefühl der Abgeschiedenheit ist verschwunden.

© José Urbina Bravo

Die Stille weicht dem Baulärm von schweren Maschinen, die den Kalkstein brechen. Das damalige Leuchten in Dirks Augen ist Trauer und Scham gewichen. Traurigkeit darüber, dass ein solches Naturerbe von Menschenhand zerstört wird. Und Scham darüber, dass er es nicht verhindern kann.

Das Tren Maya-Projekt

Der Präsident Andrés Manuel López Obrador wurde 2018 ins Amt gewählt. Seiner Absicht zufolge soll eine 1525 Kilometer lange Schnellbahnstrecke quer durch die Halbinsel Yucatán gebaut werden, die fünf mexikanische Bundesstaaten miteinander verbindet und so zum wichtigsten Instrument zur Ankurbelung der Wirtschaft in Yucatán werden soll.

Neben den astronomischen finanziellen Kosten des Projekts würde der Abschnitt 5 zwischen Cancún und Tulum auch einen unkalkulierbaren Schaden an den natürlichen Ressourcen verursachen. Die Bahnlinie war ursprünglich entlang der bestehenden Autobahn und der Küstenlinie geplant. Eine offizielle wissenschaftliche Studie über die tatsächlichen Auswirkungen des Streckenbaus auf die Natur Yucatáns wurde offiziell nie durchgeführt.

© José Urbina Bravo – Einst als Nebenstrecke zu bereits bestehenden Straßen entlang der mexikanischen Küsten Yucatáns geplant, verläuft die jetztige Streckenführung des »Tren Maya«-Großprojekts mitten durch den Dschungel, teilweise direkt über Cenoten, die zugeschüttet oder zerstört werden.

Das »Referendum« über die »Maya-Bahn«, das im Dezember 2019 abgehalten wurde, enthielt irreführende und suggestive Fragen, in denen sekundäre Vorteile hervorgehoben wurden, während die tatsächlichen Umweltauswirkungen absichtlich verschwiegen wurden.

Da das Projekt zudem vom Militär geleitet und verwaltet wird, war es für die Maya objektiv schwierig, sich den bewaffneten Behörden zu widersetzen. Bei dem »Referendum« mit einer Beteiligung von 2,36 Prozent (100.900 von 3.536.000 betroffenen Bürgern) stimmten 92,3 Prozent der Menschen für das Projekt. Wie genau diese Zahlen unter den gegebenen Bedingungen einzuordnen sind und wie gut sie die allgemeine Meinung repräsentieren, muss jeder für sich selbst beurteilen.

Die große Tragödie kam nach dem Referendum. Kurz nach der Genehmigung des Projekts wurde auf Druck der Luxushotels an der Küste die Trasse der Eisenbahn ohne weitere Diskussion in den Tropenwald der Maya verlegt. Nach Meinung der Einheimischen hat eine solche Ignoranz keine Parallele in der modernen mexikanischen Geschichte.

©José Urbina Bravo – José Urbina Bravo kämpft zusammen mit vielen Organisationen und Einwohnern gegen Teile der Streckenführung – leider, so wie es aktuell aussieht, vergebens.

Das Megaprojekt begann im Juni 2020, und trotz mehrerer gerichtlicher Verfügungen wurden die Bauarbeiten immer wieder fortgesetzt. Im Mai 2022 gab es einen Hoffnungsschimmer, als eine Gruppe von Aktivisten um den Höhlentaucher José Urbina Bravo vor Gericht einen endgültigen Stopp der Arbeiten an Abschnitt 5 erreichte.

Weniger als zwei Monate später erklärte Präsident López Obrador die Fertigstellung des Projekts ohne sachlichen Grund zu einer Angelegenheit der nationalen Sicherheit, was es dem Militär ermöglichte, die Gerichtsentscheidung zu umgehen. Die Zerstörung geht unter Kontrolle des Militärs in höchstem Tempo weiter, und jeglicher Widerstand wird schnell gewaltsam unterdrückt.

Wenn man bedenkt, dass sich das Projekt im Besitz des Militärs befindet, und dass alle künftigen Gewinne dazu verwendet werden, die Finanzen für die Rentner und Pensionäre der Streitkräfte aufzubessern, kann man die Hintergründe besser nachvollziehen. Nebenbei gesagt, auch europäische Unternehmen beteiligen und bereichern sich an diesem Projekt.

Das französische Unternehmen Alstom baut die Züge (Auftragsvolumen 1,8 Milliarden US-Dollar) und die Tochergesellschaft der Deutschen Bahn, DB Engineering & Consulting, ist beraterisch tätig (Auftragsvolumen bis dato 9 Millionen Euro). »Für Empfehlungen bei der Planung und Ausführung der Gründungsarbeiten habe die ausführende Gesellschaft Fonatur sie aber explizit nicht beauftragt,« sagte eine Bahnsprecherin.

Das klare Wasser ist verschwunden, übrig bleibt eine milchige Brühe.

Ins Herz der Maya-Flüsse

Der größte Teil der Bahnstrecke führt durch den größten noch verbliebenen Tropenwald des Landes, den großen »Maya-Wald«. Trotz seines ökologischen und kulturellen Werts gehen jährlich 80.000 Hektar durch extensive Viehzucht und landwirtschaftliche Praktiken verloren.

Wenn man sich den 40 bis 100 Meter breiten Baustellen-Einschnitt ansieht, bei dem die gesamte Vegetation entfernt wird, sind die früheren Versprechen, dass kein Baum gefällt wird, lächerlich. Die Trasse zerschneidet den Wald praktisch in Stücke und trennt wandernde Tiere von Teilen ihres Reviers.

Auch wenn die Schäden an der Oberfläche unbestreitbar sind, dürften die negativen Auswirkungen unter der Erde noch viel größer sein. Die gesamte Halbinsel Yucatán war einst ein lebendiges Korallenriff. Als der Wasserspiegel während der letzten Eiszeit sank, wurde die Halbinsel Teil des »trockenen« Kontinents.

Die Korallen starben auf natürliche Weise ab. Aber es blieb eine bis zu 30 Meter dicke Platte aus fast reinem Kalziumkarbonat übrig. Saures Regenwasser begann allmählich mit dem Kalkstein zu reagieren. Als es tiefer eindrang, schuf es riesige unterirdische Räume – Höhlen entstanden.

Da der Meeresspiegel 120 Meter tiefer lag als heute, suchte sich das Wasser auf natürliche Weise den Weg zum Meer und eines der größten bekannten unterirdischen Flusssysteme. Auf der Mikroebene, wo das Wasser von der Decke herabtropfte, bildeten sich die Stalaktiten und Stalagmiten, so dass all die schönen Formationen, die wir heute unter Wasser sehen, entstanden, als die Höhlen trocken lagen.

Später stieg der Meeresspiegel wieder an, und die Höhlen wurden überflutet. An vielen Stellen sind die erodierten Decken eingestürzt, und die Eingänge zum überfluteten Untergrund haben sich geöffnet. Die »bodenlosen« Brunnen mit kristallklarem Wasser – die Cenoten – wurden zu Toren in den überfluteten Untergrund und stellten für die Menschen der damaligen Zeit ein Geheimnis dar.

Die unterirdischen Flüsse dienten den Maya in der späten klassischen Periode als Wasserquelle. Architektur, religiöse Rituale und alle anderen Aspekte ihres Lebens waren eng mit diesen Wasserquellen verbunden. An vielen unterirdischen Orten wurden Artefakte aus verschiedenen Zeitabschnitten gefunden.

Ob es sich nun um Knochen von erlegten Tieren handelt, die von Jägern während der Eiszeit in die Höhlen gebracht wurden, oder um Keramik, die die Maya an ihren berühmten Badestellen benutzten – solche Entdeckungen waren stets Gegenstand umfangreicher Forschungen und des anschließenden strengen Schutzes, was oft dazu führte, dass die Fundstätte für die Öffentlichkeit geschlossen wurde.

Konkrete Auswirkungen

Sac Actun ist eines der wichtigsten Höhlensysteme in der Region und eine äußerst wertvolle Stätte, in der Knochen von Mammuts und andere wichtige Artefakte gefunden wurden. Kilometerlange Tunnel mit atemberaubenden Kalkformationen und endlosen Sichtweiten – so haben Höhlentaucher diesen Ort in Erinnerung.

Heute ist der Tauchgang ein Albtraum. Das Schwimmen im milchigen Wasser bei fünf Meter Sichtweite und dem ständigen Geräusch von Presslufthämmern und Bohrtürmen, die während des Tauchgangs widerhallen, ist nicht weniger als eine komplette Katastrophe.

Wie José Urbina Bravo vorausgesagt hatte, ist der poröse Kalksteinboden nicht stabil genug, um die schweren Eisenbahnteile zu tragen. Um die Konstruktion zu verstärken, werden Betonpfähle tief in den Boden gebohrt, direkt in das Herz der unterirdischen Flüsse der Maya.

Es stellt sich die Frage, warum Naturschutzorganisationen hier keinen Einfluss haben. Welcher Macht haben sich alle Wissenschaftler, Biologen und Naturschützer untergeordnet? Nun, es gibt ein Instrument, das eine fast unbegrenzte Macht besitzt. Es ist unter verschiedenen Namen bekannt – und in Mexiko nennt man es Pesos.

Strahlen der Hoffnung?

Der Anekdote nach dienten die Baderituale der Maya nicht nur der Erfrischung des Körpers, sondern auch der Befreiung der Seele von bösen Geistern. Wenn man tiefer in die Geschichte des »Tren Maya« eindringt, wird eine Menge negativer Energie freigesetzt. Um eine solch schwere Last loszuwerden, gibt es nichts Besseres als einen schönen Tauchgang.

Auch im August 2023 gibt es noch Cenoten, die von den Bauarbeiten nicht betroffen sind, und wo die Seele des Tauchers »erleichtert« wird. Eine von ihnen ist Ponderosa: Ein Becken, umgeben von üppiger Vegetation, zeigt gut, welche Schönheit diese Ecke der Welt besitzt.

Am Ende des Tauchgangs

Ungefähr 50 Meter vor dem Eingang, wenn sich die Augen des Tauchers an die Dunkelheit gewöhnt haben, erscheint wieder Licht und erlaubt es dem Taucher, den Dschungel von unten zu betrachten. Die Decke ist eingestürzt und hat einen schmalen Spalt gebildet, der sich über mehrere Dutzend Meter erstreckt.

Während meine Begleiter zu dem Spalt schwimmen, beobachte ich die unglaubliche Szene aus der Ferne. Über der Wasseroberfläche brechen die Sonnenstrahlen durch die Bäume und Blätter. Wenn sie die Oberfläche durchdringen, sehen sie aus wie leuchtende Fäden. Das Wasser ist so klar und die Sonnenstrahlen so scharf, dass es wie eine Art Computerprojektion aussieht, die sich ein- und ausschaltet, wenn die Sonne sich hinter den Wolken versteckt und wieder hervorkommt.

Wenn die im Licht schwimmenden Taucher die Sonnenstrahlen brechen und ihre ausgeatmeten Luftblasen sie in sanfte Schwingungen versetzen, wird das Bild lebendig. Dort, wo die Regenwasserströme in den Kalkstein eingedrungen sind, wurde Raum für Baumwurzeln geschaffen, die ihren Weg ins Wasser finden. Wie dicke Haare hängen sie von der Decke und ernähren die Vegetation über der Wasseroberfläche.

Doch es ist nicht nur eine Augenweide. Ein Blick erzählt eine Millionen Jahre alte Geschichte mit all ihren Meilensteinen. Fossile Schnecken, in Kalkstein eingebettet, verweisen auf die Zeit eines lebenden Korallenriffs. Stalaktiten erzählen von der Zeit vor der letzten Eiszeit, während die Überflutung des Untergrunds und die Wiederbelebung des Dschungels nach dem Abschmelzen der Gletscher das letzte Ereignis beschreibt. Sind wir diejenigen, die diese Geschichte beenden? Derzeit sieht es genau danach aus.