Trotz festgelegter Fangquoten sind viele Fischbestände in europäischen Gewässern überfischt. Eine aktuelle Analyse zeigt, warum das bestehende Fischereimanagement scheitert – und was jetzt geschehen muss.
Text Florian Huber
Fangquoten allein schützen nicht die Fischbestände
Jedes Jahr werden europaweit in einem mehrstufigen Verfahren Höchstfangmengen und Fangquoten festgesetzt. Dennoch sind viele Fischbestände in europäischen Gewässern überfischt. Eine Analyse des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, veröffentlicht im Fachjournal »Science«, zeigt: Die Fangmengen sind nicht nachhaltig, weil Bestandsgrößen systematisch überschätzt werden und die politisch festgesetzten Quoten regelmäßig über den wissenschaftlich empfohlenen, ohnehin schon zu hohen Werten liegen.
Warum trotz guter Datenlage keine nachhaltige Fischerei gelingt
Um zu einem wirklich nachhaltigen Fischereimanagement zu kommen, schlagen die Wissenschaftler die Schaffung einer politisch unabhängigen Institution vor, die bindende, ökosystembasierte Fangbeschränkungen festlegt. Eine nachhaltige Fischerei, der sich die Länder der Europäischen Union rechtlich verpflichtet haben, darf nicht mehr Fänge erlauben, als jeweils Fische nachwachsen können. Dennoch sind etwa 70 Prozent der wirtschaftlich genutzten Fischbestände in den nördlichen EU-Gewässern überfischt oder komplett zusammengebrochen.
Der Blick in die westliche Ostsee
Die Kieler Forscher analysierten die Situation am Beispiel der gut erforschten nordeuropäischen Meere mit besonderem Fokus auf der westlichen Ostsee. »Wir haben die Ursachen analysiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie auf kurzsichtige nationale Forderungen nach höheren, nicht nachhaltigen Fangmengen zurückzuführen sind, die alle Ebenen der Entscheidungsfindung beeinträchtigen«, sagt Erstautor Dr. Rainer Froese, Fischereiexperte am GEOMAR. »Die Überfischung ist so stark, dass sie allein ausreicht, um Bestände kollabieren zu lassen.«
Drei Arten – drei Schicksale
Die westliche Ostsee wurde gezielt ausgewählt: ein vergleichsweise einfaches Ökosystem mit umfangreicher Datenlage, das ausschließlich von EU-Mitgliedstaaten unter EU-Kontrolle befischt wird. Hier dominieren drei stark kommerziell genutzte Arten: Dorsch, Hering und Scholle. Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR, erklärt: »Die langjährige Überfischung von Hering und Dorsch hat zum Zusammenbruch dieser Fischereien geführt. Im Gegensatz dazu weisen die weniger gefragten Schollen, Flundern und Kliesche stabile und steigende Bestandsgrößen auf.«
Eine Lösung ist möglich – wenn sie unabhängig ist
Im Jahr 2022 wurde insgesamt weniger als ein Zehntel dessen angelandet, was aus gesunden Beständen nachhaltig gefangen werden könnte. Reusch: »Es sind die kleinen Küstenfischer, die am meisten leiden, oft ohne etwas falsch gemacht zu haben, außer vielleicht, sich auf die politische Vertretung durch Fischereiverbände zu verlassen, die Lobbyarbeit für nicht nachhaltige Fangquoten betrieben haben.« Die Forscher schlagen daher einen Lösungsansatz vor, der innerhalb des geltenden EU-Rechtsrahmens umsetzbar wäre: Eine politisch unabhängige Institution, die Fangquoten auf Basis wissenschaftlicher Prinzipien und ökosystembasierter Nachhaltigkeit festlegt.