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Interview mit Marc Wallert: 20 Jahre nach dem Kidnapping im Tauchurlaub

FORTSETZUNG VOM TAUCHEN-INTERVIEW IM MAGAZIN 04-2020.

Im April 2000 wurde Marc Wallert von der islamistischen Terrorgruppe Abu Sayyaf aus dem Tauchurlaub auf der Malaysischen Insel Sipadan entführt. Zusammen mit 20 weiteren Menschen, darunter seine Eltern, wurde er auf die philippinische Insel Jolo verschleppt und dort für 140 Tage im Dschungel festgehalten. Als Überlebender einer Entführung hat der heute 46-Jährige viel über den Umgang mit Krisen gelernt. Diese Entführung hat weltweit Schlagzeilen gemacht. „Eine todernste Erfahrung, die ich niemandem wünsche, die ich aber auch nicht mehr missen möchte“, urteilt der Göttinger über das Geschehen.

Alptraum im Dschungelcamp.

TAUCHEN: Wie kam es zum Kidnapping?

Marc Wallert: Am Ostersonntag 2000 tranken wir einen Sundowner am Strand, als plötzlich Männer mit Maschinengewehren hinter uns auftauchten und uns befehlten, mitzukommen. In zwei Fischerbooten verschleppten sie uns dann 20 Stunden übers offene Meer auf die Philippinen. Dort landeten wir schließlich auf der kleinen Insel Jolo – völlig unvorbereitet in Shorts und T-Shirt, mitten im Dschungel und mitten im Guerillakrieg.

War es ein Risiko dorthinzureisen?
Nein, zumindest kein absehbares Risiko. Wir waren ja zum Tauchen in Malaysia und dort gab es keine Reisewarnung. Wir hatten nur Pech, so wie die Menschen, die in 2001 im World Trade Center gearbeitet haben. Ein Restrisiko für Terrorismus gibt es immer.

Wie strapaziös war die Überfahrt?
Extrem! 20 Stunden übers offene Meer, dicht gedrängt in zwei kleinen Fischerbooten, die Füße in einem stinkenden Mix aus Salzwasser, Benzin und Urin. Es war eine mentale Herausforderung, hier nicht den Kopf zu verlieren. Geholfen hat: Akzeptanz. Also das Schicksal annehmen statt sich gedanklich in der Endlosschleife „hätte ich doch nur den Nachttauchgang mitgemacht, dann hätten sie uns nicht erwischt…“ durchzudrehen.
 
Wie war der Alltag im Camp?
Vielfältig. Was im normalen Alltag schon nervig ist, wurde dort zu einer echten Herausforderung. Allein das Wasserholen von (mehr oder weniger) nahegelegenen Wasserstellen konnte zu einem wahren Abenteuer werden, auf gefährlich glitschigen Matschpfaden in Flipflops zu laufen, um dann an einem Moskitoverseuchten Bächlein die Wasserflaschen aufzufüllen und das T-Shirt und sich selber zu waschen. Genauso aufwendig waren alle anderen Alltagsaktivitäten wie essen, schlafen etc.

Wie waren die hygienischen Zustände?
Herausfordernd. Es gab keine Toiletten – der Regenwald war die Toilette. Ohne Toilettenpapier oder fließend Wasser. Entsprechend hatten die meisten von uns nach kürzester Zeit Würmer, Infektionen etc. 

Hatten Sie Hunger? Wie war die Lebensmittelversorgung?
Ja. In den ersten Wochen aßen und tranken wir nur Reis und Flusswasser. Ich habe über 10 Kilo abgenommen, obwohl ich ohnehin schon ein sehr schlanker Typ bin.

Hatten Sie oft Angst?
Klar! Uns wurde ja damit gedroht uns zu enthaupten, wenn kein Lösegeld gezahlt wird. Dieses Damoklesschwert hing 140 tage über meinem Kopf.  

Wenn Ängste beim Tauchen unerträglich werden

Wie kam es zur Befreiung?
Am Ende hat sich Libyen in die Verhandlungen eingeschaltet und auch ein hohes Lösegeld wurde gezahlt. Zwei Finnen, ein Franzose und ich wurden als letzte westliche Geiseln nach 140 Tagen freigelassen.

Wer wurde zuerst freigelassen?
Zuerst wurde eine malaysische Geisel freigelassen. Drei Wochen später meine Mutter.

Marc Wallert Pressespiegel 2020

Ihre Mutter stand ja sehr im Fokus, oder?
Ja, ihr ging es gerade in den ersten Wochen extrem schlecht. Man hatte gedroht, uns zu enthaupten. Daraufhin hatte meine Mutter immer wieder Alpträume und dadurch nach und nach jegliche Hoffnung auf ein gutes Ende verloren.

Haben Sie noch Alpträume?
Nein, zum Glück nicht. Nur für kurze Zeit nach meiner Freilassung habe ich noch vom Gefechtsfeuer im Dschungel geträumt.

Wie geht es Ihren Eltern?
Meine Eltern sind dankbar, ein zweites Leben geschenkt bekommen zu haben und genießen es bei guter Gesundheit und leben immer noch in Göttingen.

Was haben Sie getan, als Sie wieder zurück in der Freiheit waren?
Ich genoss die Freiheit, kündigte meinen Job und zog zu meiner Freundin nach Köln. Ich spielte eine Zeit lang Drums in einer Band – davon konnte ich allerdings nicht leben und suchte mir wieder einen Job.

Was machen Sie beruflich?
Als Keynote Speaker gebe ich heute Impulsvorträge zum Thema Resilienz, also wie Menschen und Organisationen erfolgreich mit Krisen und Belastungen umgehen können. Darin kombiniere ich meine Führungserfahrung aus 18 Jahren Konzernkarriere mit meiner Entführungserfahrung. Darüber habe ich auch gerade mein erstes Buch veröffentlicht. „Stark durch Krisen: Von der Kunst, nicht den Kopf zu verlieren.“

Tauchen Sie noch?
Ja, zuletzt war ich Wracktauchen auf Mauritius – einfach herrlich!

Der Göttinger ist begeisterter Taucher.

Gibt es irgendetwas Positives, was man aus so einer Erfahrung mitnehmen kann?
Ich habe viel daraus gelernt, über mich und über den Umgang mit Stress und Krisen. Zum Beispiel, dass Optimismus in Krisen ein zweischneidiges Schwert ist. Denn positives Denken kann tödlich sein, wenn man reale Risiken ausblendet. Das gilt genauso im Business. Jeder hat seine eigene Strategie, mit Krisensituationen umzugehen. Es gibt nicht den einen Königsweg, aber viele mögliche Wege, um aus der Sackgasse zu kommen. Techniken, die man erlernen und auch trainieren kann.

„Stark durch Krisen“ heißt ihr gerade erschienenes Buch. Wie kam es dazu?
Nach meiner Entführung habe ich festgestellt, wie wertvoll meine Erfahrungen für meinen Alltag sind und auch für andere Menschen sein können. Daher teile ich in meinem Buch meine „Dschungelstrategien“ und übertrage sie in den Lebens- und Businessalltag. Dabei kombiniere ich Führungskräfte- und Entführungserfahrung, denn ich habe nicht nur 140 Tage im Dschungel überlebt sondern auch über 15 Jahre in internationalen Unternehmen gearbeitet.

Sein neues Buch: Seit März 2020 im Handel.

Sie schreiben „Galgenhumor“ hätte die Situation erleichtert. Wie kann man das verstehen?
Ja, Galgenhumor hat mir gerade in lebensgefährlichen Situationen sehr geholfen. Als man uns einmal androhte uns zu enthaupten hörte ich mich sagen „Jetzt nur nicht den Kopf verlieren!“

Was können Taucher von Ihrem Buch lernen?
1. Wie wichtig es ist, im richtigen Moment abzutauchen! … hätten meine Eltern und ich am Ostersonntag den Nachttauchgang mitgemacht – und das hatten wir ursprünglich geplant – dann hätten uns die Entführer nicht erwischt.
2. Wie man Stress regulieren und sogar nutzen kann
3. Wie man in schwierigsten Lagen die Hoffnung bewahrt
4. Warum positives Denken tödlich sein kann und was hier hilft
5. Wie man gestärkt aus Krisen hervorgeht

Welche Zielgruppe möchten Sie ansprechen?
Mit meinem Buch und mit meinen Vorträgen möchte ich Menschen und Organisationen inspirieren, Krisen und Belastungen noch besser zu meistern. Menschen bekommen Anregungen, wie sie stark durch Krisen kommen und gestärkt aus ihnen hervorgehen können, beruflich wie privat. Organisationen erhalten Impulse für anstehende Herausforderungen wie beispielsweise Resilienzförderung, Teambuilding, Digitale Transformation oder Agilität.

Wie sind Sie Stark durch Krisen geworden? Welches sind die wichtigsten Eckpfeiler?
„Stark durch Krisen kommen“ ist eine ganz andere Disziplin als „gestärkt aus Krisen hervorgehen“. Der größte Fehler, den viele Menschen machen, ist, dass sie nach Krisen wie ein Stehaufmännchen „aufstehen, Krönchen richten, weitermachen“. Kein Wunder, wenn sie (wie ein Stehaufmännchen) immer an derselben Stelle im Leben wieder hinfallen. Dann dreht sich das Leben um die immer selben Themen, beruflich, privat oder auch gesundheitlich. Wie man aus dem Krisenkarussell aussteigen kann – Achtung Cliffhanger!

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Buch gibt es hier zu bestellen: 

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