Uli, wo bist Du das letzte Mal in einer intakten Unterwasserwelt abgetaucht?
Die große Herausforderung ist, herauszufinden, wie eine intakte Unterwasserwelt überhaupt aussieht, da wir Menschen sie schon seit mehr als 100 Jahren massiv verändern. An dieser Frage arbeiten wir auch mit unserer Forschungstauchgruppe Submaris, zum Beispiel auf Helgoland oder in der Ostsee in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten oder Umwelt-Ländesämtern. In alten Forschungsberichten oder auch Logbüchern von Seefahrern ist die Rede von sehr guten Sichtweiten, Seegraswiesen in 14 Meter Wassertiefe und gesunden Algenwäldern auf großen Steinen. Durch die Steinfischerei sind allerdings riesige Steinflächen verschwunden, die Sichtweite wird durch zu viele Nährstoffe, unter anderem aus der Landwirtschaft, stark getrübt.
Einen besonderen Überraschungsmoment hatte ich vor zwei Jahren auf Neukaledonien, als ich vor einer Flussmündung zum Freitauchen war. Das Wasser dort war recht trüb durch die vielen Sedimenteinträge. Eigentlich ist das keine gute Voraussetzung für das Wachstum von Korallen. Aber vor dieser Küste wuchs das gesündeste Korallenriff, das ich je gesehen habe. An einigen Stellen, die manchmal weiter weg sind vom Einfluss der Menschen, können sich sehr gesunde Ökosysteme entwickeln.
Mit welcher Krankheit haben die Ozeane aus deiner Sicht derzeit am meisten zu kämpfen?
Gesunde Lebensräume, egal ob an Land oder unter Wasser, zeichnen sich durch gesunde Nahrungsnetze und eine Vielfalt von Organismen aus. Daher ist der aktuelle Raubbau im Meer, zum Beispiel durch Überfischung, Sandabbau oder Rohstoff-Entnahme in tieferem Wasser, eine der größten Bedrohungen. Das hängt natürlich immer alles mit unserem Wachstum zusammen, das im Augenblick nicht nachhaltig passiert. Die Überfischung ist sehr vielschichtig. Letztes Jahr haben wir eine Terra X-Folge über den Thunfisch gedreht, was für mich eine lehrreiche Erfahrung war. Es gibt tatsächlich noch Populationen, die nachhaltig befischt werden und von den Staaten des NAURU-Abkommens aktuell gut überwacht werden. Aber es ist mehr als fragwürdig, ob wir Europäer Fisch essen müssen, der auf der anderen Seite der Erde gefangen wird. Wir haben in unserer »westlichen« Gesellschaft genügend Alternativen, um uns hauptsächlich vegetarisch ernähren zu können. Diese Umstellung weg von der Massentierhaltung würde enorm viel Platz auf der Erde schaffen und der Natur Raum zur Entfaltung geben. Das würde sich auch auf den Ozean auswirken.
Neben deinen diversen Jobs hältst du bundesweit auch Vorträge über die Unterwasserwelt. Sind das Interesse und die Expertise der Menschen hinsichtlich solcher Themen in den letzten Jahren gestiegen oder eher gesunken?
Die Ozeane beeindrucken uns schon seit Jahrtausenden. Daher betrachte ich Geschichten aus dem Meer als zeitlos. Es bleibt ein wilder Ort, in dem wir Menschen nur kurz zu Besuch kommen können und den wir noch gar nicht vollständig verstanden haben. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit meinen Vorträgen viele Menschen begeistern kann und ihnen zeige, dass jedes Tier im Meer eine wichtige Rolle spielt. Das Interesse der Menschen ist vermutlich schon etwas gestiegen in den letzten Jahren, weil auch Politik, Wissenschaft und Presse einen größeren Schwerpunkt auf Meeresthemen legen. Das müssen dann gar nicht Stories über große Wale oder süße Robben sein. Als wir vor zwei Jahren angefangen haben, in einem Forschungsprojekt Seegras in der Ostsee anzupflanzen, war die Aufmerksamkeit plötzlich groß, weil gezeigt wurde, dass auch mit vermeintlich einfachen Methoden in den heimischen Gewässern der Lebensraum Meer und auch das Klima besser geschützt werden könnten.
»Viel hilft viel.« Kann man das auch für den Achtungsschrei der Wissenschaftler in Bezug auf den Klimawandel sagen? Oder stumpft andauerndes Alarmgeschrei die Menschen nicht eher ab?
Seit einigen Jahren muss die Wissenschaft nicht mehr schreien, dafür sind die sichtbaren und spürbaren Auswirkungen des Klimawandels und der Veränderung der Natur zu drastisch. Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren und Waldbrände verursachen gewaltige Schäden. Es ist schon vielfach berechnet worden, dass diese Schäden in Zukunft viel mehr kosten werden als jetzt Geld für Umwelt- und Klimaschutz auszugeben. Und es ist nicht so, dass nichts getan wird. Aber wir sind noch viel zu langsam. Daher werden sich auch in Zukunft immer Wissenschaftler melden, die aber selten schreien, sondern die Fakten und Prognosen für die Zukunft präsentieren. Und wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, neigt die Forschung meistens zur Untertreibung. In der Realität sind viele Auswirkungen drastischer oder treten schneller ein als vorhergesagt. Schön ist, dass viele Naturschutzorganisationen ein gutes Ansehen haben. Sie zeigen, dass wir mit verschiedenen Methoden unsere Umwelt schützen können und dadurch sogar am Ende angenehmer und zufriedener leben.
Du schreibst den Notfallplan für die Rettung unserer Erde, Umwelt und Meere. Was steht an erster Stelle auf deiner Liste?
Wenn du eine KI fragst, kommt vielleicht die Abschaffung dieser komischen Spezies Mensch an erster Stelle. Generell benötigen wir eine Art der Bescheidenheit, um in Zukunft ein besseres Verständnis von unserer Welt zu erhalten, das uns ermöglicht, nachhaltig mit und in der Natur zu leben. Unsere gesellschaftliche Abhängigkeit von stetigem Wachstum ist im Augenblick nicht mit dieser Idee vereinbar. Fortschritt ist die eine Sache. Aber wenn Fortschritt bedeutet, dass wir immer mehr Ressourcen verbrauchen, kann dieser Weg nicht die Lösung sein.
Ein überzeugendes Konzept, in einigen Jahren zirka 30 Prozent der Meere unter Schutz zu stellen, wäre meiner Ansicht nach ein wunderbarer Anfang. Im Moment scheitern viele derartige Projekte aber an der Unvereinbarkeit von politischen Systemen, Lebensplänen, Zukunftsvisionen und der Gier der Menschen. Vielleicht hat die KI ja doch recht.
Das Interview führte Alexander Kassler.