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Ist Nitroxtauchen gefährlich?

Aufgeschreckt durch verschiedene Meldungen, in denen Wissenschaftler der Uni Antwerpen festgestellt haben, dass bei Tauchgängen mit Nitrox die Gefäßwände verändert (verhärtet) werden, nimmt unser Tauchmediziner Dr. Claus-Martin Muth dazu Stellung. Nachfolgend seine Beurteilung der Situation, die – um eines vorwegzunehmen – nicht so bedrohlich ist wie von den Forschern eingeschätzt: „Gemach, gemach, noch besteht keinerlei Grund zur Besorgnis! Im Blätterwald gibt es immer wieder mal Schlagzeilen zu scheinbar mehr oder weniger spektakulären Wissenschaftsergebnissen. Doch in den meisten Fällen (allerdings nicht in allen!) hört man dann nichts mehr davon. Auch wird das, was von Medizinjournalisten mitunter als Sensation veröffentlicht wird, von der der Fachwelt sehr häufig weit weniger aufgeregt zur Kenntnis genommen. Und das hat auch seine guten Gründe: Denn nicht jede Sau, die durchs Dorf getrieben wird, ist auch schlachtreif um es mal bildlich auszudrücken!

Tatsächlich ist manche Behauptung auf den ersten (flüchtigen) Blick sensationell, beim zweiten hingegen erweist sie sich dann oft als voreilig. Dabei sind die Ergebnisse in der Regel durchaus valide – aber noch nicht von anderen Gruppen überprüft, meist auch noch nicht als wissenschaftliche Arbeit veröffentlicht und damit auch wissenschaftlich noch nicht diskutiert. Doch erst wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, können die Ergebnisse von Studien als (vorläufig) gesichert gelten. Und das ist bei diesem Studienergebnis zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht der Fall.
Aus diesem Grund hat man davon auch noch nichts in unserem Heft beziehungsweise auf tauchen.de gelesen, denn wir haben im Medizinbereich den Anspruch, nur das, was (zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt) als gesichertes Wissen vorliegt, weiterzugeben. Und obwohl wir hier sehr sorgfältig vorgehen und gewissenhaft die wissenschaftliche Literatur verfolgen, mussten meine Kollegen und ich schon als gesichert geltende Aussagen korrigieren, weil neuere Untersuchungen andere Ergebnisse brachten – das aber immer erst, wenn die wissenschaftliche Diskussion (zumindest vorläufig) abgeschlossen war. Hier gilt leider manchmal der alte Spruch: Das gesicherte Wissen von heute sind die Irrtümer von morgen!

Nun aber zum konkreten Fall: Das, was in verschiedenen Magazinen verbreitet wurde, ist bei näherer Betrachtung gar nicht so spektakulär. Es ist schon seit längerer Zeit bekannt, dass erhöhte pO2-Werte auch im Gefäß, und hier konkret an der Gefäßwand, oxidativen Stress verursachen, der einen vorübergehenden Einfluss auf die Gefäßelastizität hat. Doch während in dieser Studie ein hemmender Effekt beschrieben wird, gibt es Studien mit hyperbarem Sauerstoff, die einen gegenteiligen Effekt zeigen – allerdings im Tiermodell bei kranken Tieren. Doch auch das ist noch nicht ungewöhnlich, denn die Mechanismen, die hier zum Tragen kommen, sind sehr komplex und führen je nach Versuchsansatz zu unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Arbeit, die zu der scheinbar spektakulären Meldung geführt hat, hat nun zwar Menschen, aber nur ein sehr kleines Probandenkollektiv (10 Personen) untersucht – und hier auch nur auf Kurzzeiteffekte. Auch wurden die Ergebnisse bislang nur auf einem Kongress vorgestellt, und die Studie ist noch nicht publiziert. Um die Ergebnisse zu bewerten, wäre es aber wichtig, den gesamten Versuchsablauf zu kennen und zu wissen, was genau alles an Daten erhoben wurde und wie die Ergebnisse genau aussahen. Zwar wurden Nitrox- mit Luft-Tauchgängen verglichen, doch ist nicht bekannt, ob die Luft-Tauchgänge dazu geeignet waren, Gasbläschen im Gefäß zu generieren. Doch genau das hätte durchaus eine Relevanz, weil die (bei nahezu jedem tieferen Tauchgang regelhaft auftretenden) Gasbläschen ihrerseits einen inflammatorischen, sprich entzündungsreizgebenden Effekt haben und ihrerseits somit über Umwege einen oxidativen Stress an der Gefäßinnenwand auslösen, der, man wird es kaum erraten, die Gefäße vorübergehend steifer macht.
Tja, alles, was diese Studie bislang ergeben hat, ist, dass es einen vorübergehenden Effekt auf die Gefäßelastizität hat – wie es andere Faktoren auch haben können. Ob das aber irgendwelche langfristigen Folgen hat, ist zumindest bislang noch völlig ungeklärt. Hier mag von Interesse sein, dass (ebenfalls zumindest bislang) weder bei Minentauchern, die beruflich mit Nitrox tauchen, noch bei Kampfschwimmern (die sind sogar mit reinem Sauerstoff unterwegs!) ein erhöhtes Aufkommen an Bluthochdruckerkrankungen und/oder Gefäßerkrankungen beobachtet wurden.
Daher ist aus meiner Sicht diese reißerische Meldung in dieser Form sehr verfrüht – und nicht besonders glücklich!“
In diesem Zusammenhang möchten wir noch auf einen Artikel in der „Ärzte Zeitung“ vom 20. April 2011 zu diesem Thema hinweisen: www.aerztezeitung.de/news/article/650737/tauchen-kann-elastizitaet-gefaessen-beeintraechtigen.html