TEXT: Falk Wieland |
Als vor rund 10.000 Jahren die letzte Eiszeit zu Ende ging, blieben die Steilufer der Feldberger Landschaft als Endmoränenzüge zurück. Diese Höhen überschreiten nie die 150 Meter über NN, erschaffen aber den optischen Eindruck, als ob die Feldberger Seen in einer sanften Mittelgebirgslandschaft liegen. Hans Fallada schrieb einst: »Das Land sieht flach aus, ab und zu liegt zwischen den Feldern ein dunkler Waldstreif. Wer es nicht weiß, kann nicht ahnen, dass jeder dieser dunklen Waldstreifen einen tief ins Land eingeschnittenen langen See bedeutet, Seen mit dem tiefsten, klarsten Wasser, von einem bezaubernden Türkisgrün oder Azurblau.« Glücklicherweise ist Falladas Wald-und-Seen-Einsamkeit unverändert erhalten geblieben.
Wir beladen das Kanu unterhalb des Hüttenbergs am Breiten Luzin. Am sonnigen Morgen paddeln wir gemächlich rund um den rechterhand liegenden Scholverberg. Der 58 Meter tiefe See gilt als Heimat und Refugium von Edelkrebs, Ostgroppe und Bilderbuch-Charawiesen. Schnorcheln kann lohnen. Bald kommt das wunderbar in die Landschaft passende Zollhaus in Sicht. Wir gleiten mit dem Kanu durch das Kanälchen unter der seit 1847 existierenden »alten Postkutschen-Brücke« im Erddamm hindurch und erreichen den Schmalen Luzin.
Nördlicher Schmaler Luzin
Waldstreifen und schmale Schilfzonen prägen diesen See. Dem Schilf sind kleine Seerosenbestände vorgelagert. Die Wasserpflanzenzone mit Laichkräutern, Hahnenfuß und Wasserpest ist im glasklaren Wasser meist nur schmal, denn der Grund dieses Rinnensees fällt steil ab. Im Nordteil des Sees können wir abwechselnd paddeln und schnorcheln oder müssen das leichte Kanu mittreideln, wenn wir beide im Wasser sind. Gerätetaucher vermögen im nördlichen Schmalen Luzin mindestens ein Motorboot- und ein Seglerwrack zu finden.
Wir konzentrieren uns auf die schilfige Flachwasserzone mit hinein gebrochenen Bäumen.
In schattigen Senken voller Muschelschalen stehen große Barsche, im Schilf lauert so mancher Hecht. Wir sehen kleine mistgabelförmige Süßwasserschwämme am Schilf, einige gläserne Moostierchen-Ranken, Aale und zahlreiche Weißfische. Wir schwimmen am wenig benutzten Seerosenkanal zwischen Schmalem Luzin und Haussee vorüber und setzten unsere Tour in Richtung der Bungalowsiedlung und des Buchenwalds vor der alten Ruderer-Halle fort. Unter großen Stegen tummeln sich Jungfischschwärme, ins Wasser gebrochene Buchen tragen zauberhafte Fadenalgen-Schleier und schaffen stimmungsvolle unterseeische Räume.
An der Luzinfähre
Rund um den mit einer Handkurbel an der Seilscheibe betriebenen Fährkahn tobt das Leben. Der Bootsverleih, die Imbiss-Stube Luzinhalle, die »Fährlinie« nach Hullerbusch und der Rundwanderweg ziehen Besucher magisch an. Gerätetaucher können hoch oben über dem See parken und müssen das Equipment 105 Stufen abwärts schleppen. Nach einem wohltuenden Aufwärmkaffee schnorcheln wir leichthin weiter. Gleich südlich der Fähre liegen im Schatten der Buchen erhabene Sandgründe mit Spiegelndem Laichkraut, gewaltigen Findlingsfeldern und den schneeweißen Schill-Flächen leerer Muschelschalen. Ins Wasser gebrochene Buchen ragen, auf ihre Hauptäste gestützt, weit ins Wasser. Auf diesen Buchen haften die größten Süßwasserschwämme, die wir je sahen. Die Schwämme werden durch symbiontisch in ihnen lebende Grünalgen grün eingefärbt.
Eine solche »Schwamm-Buche« ist ein ganz komplexer Lebensraum, der mit flirrenden Wasserfloh-Wolken, den Schwämmen und Muscheln als Filtrierern, den Schnecken und Köcherfliegenlarven als Destruenten, all den Zooplankton jagenden Friedfischen und den reichlich hier schwebenden Hechten geradezu einen Querschnitt der Süßwasser-Nahrungskette modelliert. Auf der gegenüberliegenden »Hullerbusch-Seite« des Sees können wir weitere magische Baumriesen besichtigen. Hier leben Welse, Aale und Barsche zwischen Schwämmen und Algen. Bei den Baumriesen entdecken wir malerische Holzboot-Gerippe und eine Lore, die vom einstigen »Bergbau auf Findlinge« erzählt.
Vom Schmal nach Carwitz
Das Schmal heißt eine Stelle des Sees, an der die Rinnensee-Ufer auf nur noch 70 Meter Breite aneinander heranrücken und so eine Einengung genau zwischen Nord- und Südbecken erschaffen. Diese Engstelle besteht auch vertikal als ein unterseeischer Wall, über dem es nur noch etwa zwei bis sechs Meter tief ist. Diese Formation ist ein wunderbarer Untergrund für Armleuchteralgen, Hornblatt, Wasserpest und mehrere Laichkrautarten. Auch die Fische lieben diese Position. Wenn ein scharfer Wind in Nord-Süd-Richtung pfeift, kann durch die Engstelle im Seebecken und über dem Wall eine beim Tauchen spürbare Strömung gehen. Dann drücken sich große Hechte dicht an den Grund zwischen die Pflanzen. Der Schnorchel-Platz vor dem nahen Karrengrund ist ein Wels-Revier und offeriert eine versunkene Kutsche.
Auch die Badewiese von Carwitz unterhalb der Mühle »Flügellos« darf als erlebnisreicher Schnorchel- und Tauchplatz gelten. Nach Westen hin erstrecken sich Felder zierlicher Wasserpflanzen und Binsen, die zu weiteren Schwammbäumen führen. Nach Osten hin vor die Gärten und Häuser von Carwitz tauchend »wird es archäologisch«: Hier liegen Gebrauchsgegenstände vergangener Jahrhunderte, und so manches Gefäß aus Keramik oder Emaille ist zum Siedlungsgrund für Characeen-Bulte geworden. Deutlich unter Sprungschicht werden die berühmten Eiszeit-Reliktkrebschen gefunden, die wie streichholzgroße Garnelen aussehen.
Der Carwitzer See
Über ein »die Bäk« genanntes Bächlein können wir nach Carwitz hineinpaddeln. Im Ort wird der Kanal so flach, dass selbst Kanus am Dorfzentrum vorbei mit dem Bootswagen ins andere Kanal-Ende am Carwitzer See umgesetzt werden müssen. In dieses entzückende Dörfchen Carwitz, das beinahe ringsum von Seen eingefasst erscheint, hatte sich der deutsche Erzähler Hans Fallada für viele Jahre zurückgezogen. Hier sind in dichter Folge seine schönsten Werke entstanden. Er schrieb über seinen Wohnort: »Von allen Fenstern aus sehen wir Wasser, lebendiges Wasser, das schönste auf Erden. Es blitzt auf zwischen den Wipfeln uralter Linden; es verliert sich in der Ferne, begleitet von schmächtigen Ellern; dickköpfige Weiden suchen es zu verstecken, hinter gelben und grünen Schilffeldern breitet es sich weit.«
Inzwischen kämpfen wir im Kanu mit dem Wind und der weiten Wasserfläche des Carwitzer Sees.
Nach einem Blick aufs Fallada-Haus fahren wir wieder nach Norden, den verschiedenen Inseln des großen Flachsees entgegen. Auf diesem See könnten wir leicht eine ganzwöchige »Neun-Insel-Odsee« unternehmen: Jede der neun Inseln ist anders, bietet ringsum flache Sandbarren voller Wasserpflanzen, dramatische Findlingsfelder bis ins Schilf hinein und immer wieder unterschiedliche Mikrohabitate mit verschiedenen Fischarten. Die eine Insel trägt die Ruine einer alten Kapelle, die nächste eine Art inneres Insel-Moor, und stets liegen ringsum die herrlichsten Schnorchel-Reviere des Süßwassers. Altes Pfahlwerk im Wasser deutet aus slawischen Zeiten stammende Brücken zwischen mindestens zwei Eilanden an. Und hinter dem Horizont, pardon, hinter den Inseln geht’s weiter, hinein in den Zansen, der als eigenständiger See allein so groß ist wie der Schmale Luzin, nur viel unzugänglicher.
Taucher entdecken in der Nähe des Hotels Thomsdorf versunkene Kähne und eine Taucherglocke. Ab dem Badestrand Thomsdorf erreicht man einen der artenreichsten Fischgründe. Beim Nachttauchen erschließt sich beinahe das ganze Fisch-Alphabet von Aal über Barsch bis Schleie, Stichling, Trüsche und Zander. Grandios, dieser Carwitzer See!
Von Urten und Kunkeln
Ein winziges Kanälchen namens »der Hals« führt vom Carwitzer See in den Dreetz. Der nur zehn Meter tiefe Klarwassersee gilt als Characeen-Revier und hält ganz besondere Wasserpflanzenkessel bereit. Der Dreetz hat scheinbar neun kleine Buchten. Doch diese sind keine echten Buchten und entstanden so: Am Ende der Eiszeit soll hier, wo sich aktuell der Dreetz erstreckt, ein riesiger Toteisklotz gelegen haben. Dieser Eisberg hatte sich nicht allein bis zur heutigen Seetiefe in den Boden eingedrückt, sondern ragte auch weit wie ein echter Berg über das Gelände auf. Während des Abschmelzens stürzten Schmelzwasserbäche wie heftige Wasserfälle seitlich vom Eisberg herab und spülten dort, wo später das Seeufer entstand, sieben flache Kessel oder Auskolkungen aus dem Untergrund aus.
Diese wurden später vom Seespiegel überstaut und wirken wie Buchten. Ihre Besonderheit ist, dass es sich um kreisrunde Kessel von zwei bis drei Metern Wassertiefe handelt, die jeweils eine geschlossene Form haben. Jeder dieser Kessel ist durch einen unterseeischen Wall zum Hauptsee hin abgeschlossen. Die alten Schmelzwasserbecken heißen auf »gut einheimisch« Urte oder Kunkel. Und so gibt es das »Grote Urt«, das „Lütte Urt», das »Rosenkunkel«, das »Schapwasch« und so weiter. Alle diese »Nebenteiche« des Dreetz sind traumhafte Schnorchel-Plätze voller Wasserpflanzen und werden von riesigen Rotfeder-Schwärmen besiedelt. Im Schapwasch-Becken wurden einst wirklich Schafe vor dem Scheren gewaschen.
Am Südende des Dreetz erreichen wir schließlich den Campingplatz C86 Thomsdorf. Er bietet Gastronomie, einen Lebensmittelladen und eine Tauchbasis. Hier können wir pausieren, vielleicht übernachten, vielleicht das Auto nachholen. Erneut muss das Kanu auf den Bootswagen, um einen Landrücken 500 Meter weit hinab getragen zu werden, zum Überwinden der zehn Meter, die der Krüselin-See tiefer liegt.
Die Insel im Krüselin
Der Krüselinsee ist der einzige See mit einem ausdrücklich beschilderten Verbot des Tauchens mit Atemgerät. Doch die Wasserwanderroute in Richtung Lychen führt durch den See. Und baden sowie schorcheln darf man auch. Schnorcheln lohnt sich entlang aller Ufer, doch das schönste bietet die Insel: Um Nord- und Südende des Eilands erstrecken sich weite Seerosenfelder, eine riesige Sandbank im Süden ist mit prachtvollen Laichkräutern, Tausendblättern und Nixenkraut bedeckt. Rund um die Insel sehen wir, wie Armleuchteralgen-Wiesen und Krebsscheren-Bestände nach Pflanzenart um Lebensräume ringen. Im Krüselin sollen mehr als 25 Wasserpflanzen und Characeen-Arten vorkommen. Die bis in die Schilfzone vordringenden Filzigen Armleuchteralgen unterstreichen das Besondere dieses Sees. Nach der auskühlenden Schnorchel-Runde legen wir am Südende des Sees an der traditionsreichen Krüseliner Seeschänke an, um uns zu stärken.
Kurs Kolbatzer Mühle
Die Krüseliner Seeschänke könnte der südliche Umkehrpunkt dieser Tour sein. Doch genauso gut lässt sich hier das Kanu per Bootswagen in den Krüselin-Bach umsetzen, und bald paddeln wir weiter durch eine magische Wasserlandschaft. Wir durchqueren auf einem bachartigen Fließ einen magischen Auwald mit bizarren Schwarzerlen, erleben unterwegs mit den Mechow-Seen zwei nähstoffreichere Sumpfseen mit Seerosen, folgen dem Bach durch alte Aalfangwehre beim Weiler Aalkasten und erleben dessen Verwandlung in ein beinahe bergbachartiges Gewässer. Wir werden umflogen von Massen der seltenen Blauflügligen Prachtlibellen, sehen Wasserschachtelhalm-Wiesen im Fließ, gleiten über bis an die Wasseroberfläche ragende Krebsscheren und erreichen endlich den magischen Kolbatzer Mühlteich.
Dieser Mühlteich ist ein sensationeller Wasserpflanzenstandort von der Größe eines Sees und gehört zum privaten Ferienresort »Natur pur Kolbatzer Mühle« mit Gastronomie, Bootsverleih und allerhand urigen Unterkünften. Im Kolbatzer Mühlteich können wir kompakte Krebsscheren-Verlandungsflächen, Schwämme auf losem Sediment und beinaheåmannshohe, in Seerosen verstrickte »fleischfressende« Wasserschlauchpflanzen sehen. Wer darauf vorbereitet ist, könnte die abenteuerliche Kanu- und Schnorchel-Tour weiter bis zu den Lychener Seen fortsetzen.
Reiseinfo: Feldberger Seenlandschaft
Anreise
Über die A11 Berliner Ring – Stettin, AS Finowfurt abfahren und bis Zerpenschleuse. Dann auf L100 bis Hassleben und westlich ab nach Feldberg. Oder vom Berliner Ring A10 bis AS Oranienburg und weiter auf der B96 nach Norden, in Fürstenberg östlich ab nach Lychen und Feldberg.
Tauchsaison
sinnvolle Tauchsaison von etwa Mai bis Oktober. Außerhalb der Saison für Trockentaucher und Hard-core-Wassersportler. Die Tauchbasen schließen im Winter.
Tauchbasen
Die Tauchbasis www.tauchcenter-feldberg.de liegt innerstädtisch im Hotel www.deutscheshaus-feldberg.de und am Haussee. Hier gibt es Pressluft, Ausbildung, Tauchtipps und Tauchausfahrten mit einem Elektro-Floß.
Die Tauchbasis https://luzindiver.com befindet sich auf dem Campingplatz C86 bei Thomsdorf in einem Umfeld mit Gastronomie, Bootsverleih und Zeltplatz-Laden.
Tauchgenehmigung
Für das Gerätetauchen in der Feldberger Seenlandschaft muss man sich bei einer der Tauchbasen eine Tauchgenehmigung holen, die für drei Tage fünf Euro, für eine Woche zehn Euro und für das ganze Jahr 35 Euro kostet.
Tauchen und Schnorcheln
Überall, wo man baden darf, kann auch geschnorchelt werden – mit oder ohne Anzug. Tauchverbote beziehen sich allein und ausdrücklich auf das Tauchen mit technischem Atemgerät.
Bachpaddeln südlich vom Krüselin
Der Krüselinbach und der anschließende Küstrinbach dürfen nur bei ausreichender Wasserführung von mindestens 30 Zentimeter befahren werden. Vor Ort ist das aktuell ausgeschildert, man kann sich online beim pegelportal.brandenburg informieren.
Besonderes
Die Feldberger Seenlandschaft erstreckt sich von Mecklenburg-Vorpommern bis Brandenburg, die Grenze liegt am Südufer des Carwitzer Sees. Als klarster See darf der Schmale Luzin gelten. Als der See mit den meisten Fischarten der Carwitzer See, und Krüselin sowie Kolbatzer Mühlteich sollen jeweils über 25 Characeen- und Wasserpflanzen-Arten enthalten. Etwa ab 1918 bis 1924 begann Professor August Thienemann (1882-1960) umfangreiche Forschungen auch am Schmalen Luzin und untersuchte erstmals die physikalischen und chemischen Bedingungen im Wasser im Zusammenhang mit dem Artenspektrum der Tiere und Pflanzen.
Kanu ausleihen
Freaks mögen mit dem eigenen Kanu anreisen. Aber nahezu überall im Seengebiet bekommt man Boote: Boots-Verleih am Feldberger Haus-See www.boots-berg.de, am Schmalen Luzin www.luzinfaehre.de, am Dreetz www.carwitz-fleege.de, am Kolbatzer Mühlteich www.kolbatzer-muehle.de/Kanuverleih.