Biologie Reise Reportage Wissen

Die »Fliegenden« Meerestierärzte von Indonesien

In Indonesien gibt es nur etwa zwei Dutzend Mediziner, die Meeresbewohnern im Notfall zur Seite stehen. Auch wenn die Flying Vets, also die fliegenden Tierärzte, nur wenige sind, ist ihr Einsatz umso bewundernswerter.

Flying Vets
Shutterstock

TEXT: Judith Rietveld & Rene Lippmann

Das Vorhaben ist ambitioniert und alles andere als eine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass nur 30 Tierärzte für mehr als 16.000 indonesische Inseln zur Verfügung stehen. Tatsächlich gibt es in dem südostasiatischen Inselstaat nur wenige Veterinäre, die sich auf Meerestiere spezialisiert haben. Die meisten konzentrieren sich auf Haus- und Nutztiere.

So müssen die Ärzte von IAM Flying Vet regelmäßig große Entfernungen zurücklegen, um ihre Arbeit zu erledigen. »IAM Flying Vet« wurde 2018 vom World Wide Fund for Nature (WWF) gegründet und hat bisher über 250 Meerestiere behandelt – vor allem Meeresschildkröten, Delfine, Wale und Seekühe.

Zwei von wenigen

Die Behandlung von Hunden und Katzen bis hin zu Walen und Meeresschildkröten: Dieses breite Spektrum findet sich nur selten bei Tierärzten. Die 29-jährige Medizinerin Dr. Dian Kusuma half früher ihrem Mann Dr. Wayan Yustitia, der wie sie Tierarzt ist, in seiner Praxis. Doch die Behandlung von Kleintieren erfüllte sie nicht.

Sie begann, sich Wissen über das biochemische Arbeiten und Aufgaben im Laborbereich anzueignen. Seit 2011 arbeitet sie als Freiwillige für den WWF und das Turtle Conservation and Education Center (TCEC) auf Serangan. »Seitdem habe ich mich mehr und mehr mit Meeresschildkröten beschäftigt. Beispielsweise mit der Überwachung von Stränden auf Bali, wo die Tiere ihre Eier ablegen«, sagt Dr. Dian Kusuma.

© Shutterstock

Derzeit arbeitet und studiert sie an der University of Tennessee in Knoxville/USA, wo sie die Auswirkungen der Strandtemperaturen auf die Embryonalentwicklung von Lederschildkröten untersucht. Ihr Mann, der 31-jährige Dr. Wayan Yustitia, hat eine eigene Tierarztpraxis und behandelt vor allem kleine Haustiere.

Er konzentriert sich aber auch zunehmend auf große Meerestiere, um seine Arbeit für IAM Flying Vet weiter zu spezialisieren. Auch für ihn ist der Schutz der Tiere wichtig: »Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war bekannt für seine Schildkrötenjäger. So habe ich das Schicksal dieser Tiere bereits in jungen Jahren miterlebt.

2000 wurde ich durch eine WWF-Kampagne wachgerüttelt und beschloss, Tierarzt zu werden. Als ich dann gefragt wurde, ob ich eine »Flying Vet« werden möchte, habe ich keinen Moment gezögert. Ich bin froh, dass ich zum Schutz gefährdeter Arten beitragen kann«, sagt Dr. Wayan Yustitia.

Enorme Herausforderung

Meerestiere haben ganz andere Probleme als kleine Haustiere. Das gilt auch für ihre Diagnose und Behandlung. Dazu Dr. Yustitia: »Bei Kleintieren sind die Störungen recht schnell ersichtlich und einfach zu behandeln. Bei großen Meerestieren sind die meisten medizinischen Probleme auf Verletzungen, Traumata, Tumore, Vergiftungen und gelegentlich auf eine Infektionskrankheit zurückzuführen.

Die Behandlung ist eine große Herausforderung. Leider haben wir in vielen Situationen immer noch nicht genügend diagnostische Möglichkeiten, um zum Beispiel ein gestrandetes Tier zu behandeln.« Dr. Dian Kusuma sieht das gleiche Problem, verweist aber auch auf Erfolgsgeschichten: »Wenn wir mit bedrohten Arten arbeiten und am Ende das Tier wieder gesund in den Ozean zurücksetzen können, ist das ein Sieg«, so die ambitionierte Ärztin.

Ihre schönste Erinnerung? »Als mein Mann und ich erfolgreich eine Unechte Karettschildkröte retten konnten, die von einem Boot angefahren worden war. Die Freilassung dieses genesenen Tieres war herzzerreißend.«

© Flying Vets – In den letzten Jahren sind es vor allem Schildkröten, denen geholfen werden muss, da sich ihre Mägen mit Plastikmüll füllen und sie so qualvoll verhungern würden, wenn ihnen nicht geholfen wird. Röntgen und »Reha« gehören zu den medizinischen Maßnahmen.

Schicksal des kleinen Dugongs

Normalerweise sind es die Tierschützer vor Ort, die den fliegenden Tierärzten einen Hinweis auf ein krankes oder gestrandetes Meerestier geben. Aber manchmal gehen auch Meldungen über die sozialen Medien ein. Als Koordinatorin der Flying Vets gehört es zu Dr. Kusumas Aufgaben, zu entscheiden, wer wohin geht, um zu helfen.

Aber nicht bei jedem Einsatz geht es um die Rettung von Tieren. Manchmal muss Dr. Dian Kusuma auch eine Autopsie an toten Meerestieren durchführen, um die Todesursache festzustellen. Eines ihrer denkwürdigsten Erlebnisse war im vergangenen Jahr, als sie von Bali nach Raja Ampat in die Provinz West-Papua flog, um eine Autopsie an einem toten Dugong-Baby durchzuführen.

© Flying Vets – I AM Flying Vet ist ein Zusammenschluss von freiwilligen Tierärzten, die gestrandeten, kranken und verletzten Meerestieren in ganz Indonesien Hilfe leisten.

Der Flug dauerte Stunden, und sie musste einen weiteren Tag in Sorong City warten, um ein Boot zur Insel zu bekommen. Das Dugong-Baby in Raja Ampat wurde nach der Strandung von Mitarbeitern geborgen, um die Todesursache festzustellen. Mit so wenigen freiwilligen Tierärzten ist es keine leichte Aufgabe, in Not geratene Meerestiere in ganz Indonesien zu retten.

»Es gibt einen chronischen Mangel an Ärzten, die sich auf Meerestiere spezialisiert haben, sagt Dr. Wayan Yustitia. Hinzu kommt, dass man ja auch noch einen Job braucht, der Geld bringt. »Neben meiner Arbeit für die Flying Vets führe ich meine Kleintierpraxis, bin Berater von zwei Unternehmen und engagiere mich in meinem Dorf für den Tierschutz. Ich werde dennoch keine Minute müde, um mich auch für die Meeresschildkröten von Bali einzusetzen«.

Großes Plastikmüllproblem

Die Auswirkungen des Menschen auf die Tiere im Meer sind für die Tierärzte von Flying Vet täglich zu sehen: eine Schildkröte, die durch den Verzehr von Fischernetzen verendet. Gestrandete Tiere, die bei dem Versuch, große Mengen an Plastik aus dem Meer zu verdauen, verenden.

Nach Operationen dauert es noch ein paar Tage, bis die Tiere wieder in die Freiheit entlassen werden können. Allerdings ist nach solchen Rettungsaktionen leider nicht gesagt, dass es den Tieren langfristig besser gehen wird. Zu groß ist die Meeresverschmutzung und damit das Risiko erneuter »Vorfälle«.

»Ignoranz, überfüllte Strände und zu wenig Menschen, die andere aufklären könnten, was deren Tun anrichtet.« Darin sieht Dr. Wayan die größten Probleme. Seiner Ansicht nach würde es bereits einen großen Unterschied machen, wenn die Menschen keinen Müll an den Stränden und im Meer hinterlassen und verantwortungsvoll mit den Meeren umgehen.

Indonesien zählt heute nach China zum zweitgrößten Verschmutzer der Ozeane. So ist es nicht verwunderlich, dass es viele Fälle von kranken Tieren gibt, die Plastik gefressen haben. Und die schließlich daran verenden. »Unser letzter Fall war hier auf Bali, wo wir eine riesige Schildkröte sahen, die hilflos im Wasser trieb. Wir haben das Tier in unser Rettungszentrum gebracht und zwei Monate behandelt.

»Die Menge an Plastik, die die Schildkröte in sich trug, war unfassbar«, erzählt Dr. Kusuma. Gleiches gilt für immer mehr Wale, die an den Küsten stranden und deren Mägen voll mit Plastik sind. Neben Plastik gibt es aber noch andere Probleme.

Neben dem Schmuggel von Schildkröten und deren Tötung sind die Meeresbewohner fast immer durch menschengemachte Probleme bedroht. Im Durchschnitt erhält I AM Flying Vet etwa fünf Meldungen über kranke und gestrandete Meerestiere in ganz Indonesien pro Monat. In den letzten Monaten sind es weniger geworden.

Die Organisation glaubt, dass das darauf zurückzuführen ist, dass es weniger menschliche Aktivitäten im Meer und an den Stränden gibt, weil die Menschen wegen Corona zu Hause bleiben. Dennoch gibt es Strandungen, und immer wieder Tiere, die an oder mit Plastik verendet sind. »Wir müssen endlich etwas dagegen tun. Auf allen Ebenen«, appelliert Dr. Dian Kusuma.

INFOS

Die Organisation ist unter dem Dach der »Indonesian Veterinary Medical Association« tätig und wurde im Mai 2018 vom World Wildlife Fund (WWF) mitbegründet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass es im Land praktisch keine Hilfe für gestrandete Tiere gibt.

Die Organisation arbeitet eng mit dem indonesischen Ministerium für maritime Angelegenheiten und Fischerei, den lokalen Behörden und anderen Naturschutzorganisationen zusammen und hängt hauptsächlich von Hinweisen von Ersthelfern ab, um kranke Tiere ausfindig zu machen. Die 30 angeschlossenen freiwilligen Tierärzte von Flying Vet müssen Tag und Nacht einsatzbereit sein.

Für weitere Informationen:
www.supporterwwf.org