Interviews

Haie vor Helgoland

Dr. Florian Huber im Interview mit Dr. Matthias Schaber (Fischereibiologe & Forschungstaucher) vom Thünen-Institut für Seefischerei, Bremerhaven

(TITELBILD: Der Fischereibiologe Dr. Matthias Schaber bereitet Pop-up-Sender vor, die später an den Haien befestigt werden. © Dr. Florian Huber)

Florian HUBER: Matthias, Haie in deutschen Gewässern, direkt vor Helgoland! Das klingt erstmal ungewohnt und nicht viele Menschen werden das wissen. Welche Haiarten gibt es denn überhaupt vor unserer Haustür?

Matthias SCHABER: Wenn die Rede von „Haien vor unserer Haustür“ ist, erwähnen die meisten Leute erfahrungsgemäß den wohl bekanntesten heimischen Vertreter – den Katzenhai. Es gibt aber in unseren heimischen Gewässern – hier vor allem der Nordsee- noch deutlich mehr Arten. Wenn wir von Knorpelfischen allgemein reden, also Haien, Rochen und Chimären, kommen im Nordseebereich über 31 Arten vor. In Deutschen Gewässern der Nordsee wurden knapp 20 Arten nachgewiesen.

Ein Hundshai schwimmt davon, nachdem er mit einem Satelliten-Sender markiert und wieder in die Nordsee entlassen wurde. Hundshaie sind die größten dauerhaft in Deutschen Gewässern vorkommende Haiart und erreichen Längen von bis zu 2m. Hundshaie gelten weltweit als vom Aussterben bedroht. © Christian Howe

FH: Du erforschst aktuell Hundshaie. Was macht diese Haiart für dich so spannend?

MS: Hundshaie kommen fast weltweit vor – es gibt mehr als 5 bekannte, genetisch getrennte Populationen z.B. in Südafrika, im Südwestatlantik, im Pazifik bei Australien und Neuseeland, im Nordostpazifik etc. Und eben im Nordostatlantik – wozu auch unsere heimischen Hundshaie gehören. Man hat Hundshaie jahrzehntelang intensiv befischt – wegen ihrer öl- und vitaminhaltigen Lebern und wegen ihrer Flossen. Wie fast alle Haiarten sind jedoch auch Hundshaie langsam wachsend, werden spät geschlechtsreif – und produzieren wenig Nachwuchs. Die Art kann also intensiven Fischereidruck schwer abpuffern, und so kam es, wie es kommen musste: Hundshaie gelten global, so die Bestandseinschätzung der Weltnaturschutzunion IUCN, als vom Aussterben bedroht („Critically endangered“).

Hundshaie haben eine total faszinierende Biologie – sie unternehmen unter anderem enorm weitreichende Wanderungen. Wobei diese Wanderungen je nach Verbreitungsgebiet unterschiedlich ausfallen und trotz gewisser Regelmäßigkeiten bei Weitem nicht wirklich vorhersehbar sind – zumindest laut unserem aktuellen Wissensstand.

Matthias Schaber vom Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven vermisst einen zuvor gefangenen Hundshai. Das Tier wird danach mit einem Satellitensender markiert. Der Sender löst sich nach einer vorprogrammierten Zeit vom Tier ab, steigt an die Wasseroberfläche und übermittelt die Messdaten zu Verhaltensmustern und Wanderungsbewegungen dieser gefährdeten Haiart via Satellit an den Forscher. © Dr. Matthias Schaber/Thünen-Institut.

Es ist aufgrund der Gefährdung der Hundshaie enorm wichtig zu wissen, wann die Tiere wo sind, und warum sie dort sind, d.h. was sie dort machen. Man kann Hundshaie schwer bis gar nicht vor zufälligem Beifang schützen – wenn man aber weiß, wo sich die Fortpflanzungsareale und die Aufwuchsgebiete der Haie befinden, kann man zumindest diese dann zeitweise oder ganz unter stärkeren Schutz stellen.

Hierzu haben wir ein Forschungsprojekt etabliert, in dessen Rahmen wir bei Helgoland gefangene große Haie mit Satellitensendern markieren, um deren Verhalten und Wanderrouten im weiteren Jahresverlauf zu erforschen – und um so idealerweise ein wenig mehr Licht in die komplexen Wanderungen dieser Art im Nordostatlantik zu bringen und eventuell auch solche kritischen und wichtigen Habitate (u.a. Fortpflanzung) zu identifizieren.

FH: Wie können wir uns deine Feldarbeit vor Helgoland vorstellen?

MS: Wenn die Bedingungen günstig sind (kein bis wenig Wind, günstige Gezeitenlage), reise ich mit meiner Ausrüstung nach Helgoland, wo ich dann mit einem erfahrenen Angler von der Insel in dessen Boot zu den unter den gegebenen Bedingungen erfolgversprechendsten Plätzen fahre. Dort angekommen bereite ich die benötigten Ausrüstungsgegenstände vor – und dann angeln wir. Wenn wir erfolgreich sind, also einen Hai an der Angel haben, wird dieser möglichst schnell und möglichst schonend an Bord gehievt, und dann läuft die Zeit. Das Tier wird zunächst mit einem nassen dunklen Lappen über den Augen beruhigt (was erstaunlich spontan und deutlich wirkt), dann wird es vermessen und das Geschlecht bestimmt. Dann stanze ich mit einer Lochzange ein kleines Loch in die knorpelige (und schmerzunempfindliche) Rückenflosse, in dem dann der Satellitensender befestigt wird. Dann wird das Tier wieder schonend freigelassen.

Zeitlicher Verlauf und Routen der wahrscheinlichsten Wanderungen von vier Hundshaien (Galeorhinus galeus) nach Einsatz von Pop-up-Satellitensendern in der Deutschen Nordsee und Luce Bay, Westschottland. (© Dr. Matthias Schaber/Thünen-Institut)

Wenn die Haie dann entlassen wurden, heißt es erst mal Warten, Warten, Warten. Die Satellitensender zeichnen während eines vorprogrammierten Zeitraums dauerhaft die Umgebungstemperatur, die jeweilige Tiefe und das Umgebungslicht auf. Dann löst sich der Sender von der Flosse des Hais, treibt an die Wasseroberfläche und übermittelt dann die Messdaten via Satellit. Aus den dann übertragenen Messdaten kann ich Einblicke in das Verhalten der jeweiligen Haie erhalten – und die Wanderrouten der Tiere modellieren.

FH: Welche Aussagekraft haben die ausgelesenen Daten? Welche Rückschlüsse kannst du damit auf das Leben und Verhalten der Haie ziehen?

MS: Aus den bisher übermittelten Daten – ich habe mehr als 20 Haie markiert – können wir eventuelle Regelmäßigkeiten bei der Wanderung erkennen (zumindest eben bei den Tieren, die sich im Sommer um Helgoland versammeln). Der Großteil der markierten Tiere wandert in den Herbstmonaten aus der Deutschen Bucht in westlicher gelegene Bereiche der Nordsee – und dann weiter in den englischen Kanal. Dort verbringen viele Tiere die Wintermonate. Ein Teil der Tiere wandert jedoch viel weiter – einzelne Exemplare wanderten durch den englischen Kanal hindurch in den offenen Atlantik – bis nach Madeira oder in die Straße von Gibraltar. Das Projekt wird in den kommenden Jahren fortgeführt und auch methodisch erweitert. Wir hoffen durch den Einsatz von akustischer Telemetrie genauere Informationen über kleinskalige Wanderungen der Haie zu erhalten, und durch das Installieren von „Horchposten“ auch mehrjährige Zyklen identifizieren zu können.

FH: Danke für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg bei deiner spannenden Arbeit.