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»Mein Leben gehört der Walforschung und den Tieren … «

Nan betreibt seit 21 Jahren die Organisation Cook Islands Whale Research und lebt im Jahr zwischen sechs und acht Monaten auf der Pazifikinsel Rarotonga. Sie ist 64 Jahre alt, hat vier Kinder und sechs Enkel und fährt in der Walsaison jeden Tag mit ihrem Boot aufs Meer, um die Buckelwale zu studieren und zu beobachten. 

www.nanhauser.com

 

 

 

Kacke für die Forschung

Nan betreibt seit 21 Jahren die Organisation Cook Islands Whale Research und lebt im Jahr zwischen sechs und acht Monaten auf der Pazifikinsel Rarotonga. Sie ist 64 Jahre alt, hat vier Kinder und sechs Enkel und fährt in der Walsaison jeden Tag mit ihrem Boot aufs Meer, um die Buckelwale zu studieren und zu beobachten.

 

Wenn es so etwas wie Wiedergeburt gäbe, in welchem Walkörper würdest Du gerne wieder erscheinen?

Eine wunderbare Frage. Ich wäre dann gerne ein Großer Tümmler. Sie erscheinen immer so fröhlich und cool. Ich habe sie auch einige Jahre lang selbst studiert. Ich hab das Gefühl, die Tiere wissen, wie sie sich entspannen können, fahren aber zwischendurch auch Harleys und sind wilde Draufgänger. Dazu klingt ihr Sonar so wunderschön. Es ist für jeden gut zu hören und das finde ich eine Art von Ehrlichkeit. In der Welt der Großen Tümmler gibt es keine Geheimnisse…

Wann hast Du zum ersten Mal einen großen Wal unter Wasser gesehen?

Das war vor sicher 25 Jahren vor den Bahamas. Unter Wasser habe ich erst nur diese gewaltige, dunkle Masse gesehen, die so völlig fremdartig aussieht. Zur merkwürdigen Erscheinung beigetragen hat sicher auch der gebrochene Kiefer, der den Pottwal noch seltsamer hat erscheinen lassen. Nach und nach kamen weitere Pottwale dazu, die sich in unterschiedliche Richtungen gedreht haben, mal auf dem Kopf standen, mal auf dem Rücken geschwommen sind. Ich erinnere mich noch daran, dass ich gedacht habe, einem schwerelosen Unterwasser-Ballett zuzuschauen, begleitet von den kräftigen Klicklauten des Pottwals. Es gab kein Oben und kein Unten mehr.

Du unternimmst Verhaltensstudien, betreibst aber auch genetische Untersuchungen. Wie trägt Deine Forschung zum Schutz und zum Erhalt der Buckelwale hier bei?

Unsere Forschung hat eine große Bandbreite: Photo-Identifikation, Akustik, Mikrobiologie, Genetik, Stabile Isotope, Besenderung. Ich verwende diese wissenschaftlichen Daten, um in der Politik etwas zu bewirken. Wir haben hier die sogenannte SP-Population, also die Buckelwale im Südpazifik. Im Moment gehen wir davon aus, dass es noch ungefähr 3.000 Buckelwale dieser Gemeinschaft gibt. Diese Population hat sich also vom massiven Walfang immer noch nicht erholt. Mit unseren Sendern konnten wir zum ersten Mal nachweisen, dass ein Wal von hier aus in ein besonderes Gebiet vor der Antarktis zieht, in dem Japan Walfang betreibt. Bei meinem von der IFAW (International Fund for Animal Welfare) organisierten Vortrag vor der Walfänger-Gesellschaft in Japan wurde diese neue Erkenntnis akzeptiert, um bei der Jagd die bedrohten SP-Wale zu schonen. Ich weiß leider nicht, wie lange diese Schonzeit andauern wird, aber es ist ein weiterer Meilenstein im friedlichen Protest gegen den Walfang. Wir müssen diese wissenschaftlichen Daten weiter erheben, um die Menschen mit rationalen Argumenten zu überzeugen.

Auf den Cook Inseln ist das Schwimmen mit Walen und generell Whalewatching verboten. Du hast eine spezielle Erlaubnis und darfst den Walen folgen und auch mit ihnen ins Wasser. Wie hat sich diese Situation entwickelt, ganz im Unterschied zu Tonga, wo das Schwimmen mit Walen ein großes Geschäft geworden ist?

Das Besondere ist, dass die Wale hier rund um Rarotonga sehr dicht an die Insel herankommen. Das Saumriff ist oft nur hundert Meter vom Strand entfernt und dahinter tummeln sich die Wale. Whalewatching ist sozusagen direkt vom Ufer aus möglich…

… aber viele Menschen wollen dichter an die Wale heran und sie häufig auch gleich berühren…

Genau das ist das Problem. Fast alles, was wir Menschen einmal berührt haben, zerstören wir auch bald darauf. Ich berühre die Wale nicht. Auf dem Video, das zur Zeit im Internet millionenfach angesehen wird, stoße ich mich tatsächlich vom Wal ab, da er mich so stark bedrängt hat und mich sonst an Kopf und Brust verletzen könnte.

Als ich das erste Mal hierher kam, im Jahr 1998, haben nur einige Fischer gewusst, dass es hier Wale gibt. Und die hatten häufig große Angst vor ihnen. Als sie dann gesehen haben, wie ich neben den Walen geschwommen bin, wurden sie neugieriger und haben ihre Angst abgelegt. Die Regierung der Cook Inseln hat kein Interesse daran, das Verbot zu lockern, da sie das Potential für große Geschäfte mit den Walen nicht sieht. Rarotonga ist nur eine Art Durchzugsgebiet, die Wale bleiben hier meistens für einige Tage, bevor sie weiterziehen. Außerdem kommen sie selten zurück. In 21 Jahren hatten wir laut unseren Beobachtungen nur zwei Wale, die erneut in Rarotonga vorbeikamen. An anderen Orten wie Französisch-Polynesien oder Tonga zeigen die Wale Standorttreue, das heißt sie bleiben für sehr viel länger dort und lassen sich beobachten. Das Geschäft mit den Walen hat an diesen Stellen aber mittlerweile respektlose Züge angenommen. Ich vermute, die Schwester des Königs (Tonga ist ein Königreich, Anmk. des Autors) wird dem Swim-with-whales Programm bald einen Riegel vorschieben. Sie möchte die Wale schützen und die dauernde Anwesenheit von Menschen in ihrer Nähe begrenzen.

Es gibt hier auf Rarotonga mittlerweile ein Boot, das Touren zu den Walen anbietet, obwohl es eigentlich nicht erlaubt ist. Der Betreiber hat sich bisher nicht mit Ruhm bekleckert, es gibt zahlreiche Beschwerden, dass er die Wale belästigt und die Gäste an Bord überhaupt nicht informiert über den Hintergrund der Walwanderungen.

Unsere Organisation wird nächstes Jahr informative Touren für Gäste anbieten, die aber nicht zu den Walen ins Wasser dürfen. Sie werden in unsere Forschungsarbeit mit eingebunden, können zum Beispiel Hautfetzen von der Wasseroberfläche absammeln, das Hydrophon einsetzen und Beobachtungen notieren. Dadurch vermitteln wir unser Wissen und dazu den nötigen Respekt den Walen gegenüber.

Die Entwicklung von leistungsfähigen Kamera-Drohnen hat auch Deine Arbeit mittlerweile beeinflusst. Kannst Du uns erzählen, ob Du dadurch schon neuartige Verhaltensweisen beobachtet hast?

Gerade letzte Woche haben wir bei ruhiger See zwei Wale beobachtet, die an der Oberfläche regelrecht miteinander getanzt haben! Die Drohne hat sie dabei überhaupt nicht gestört. Als Taucher wäre diese Art der Verhaltensforschung nicht möglich, da die meisten Tiere bald wegschwimmen würden. Aber aus der Luft konnten wir das ganze Spektakel bis in mehrere Meter Tiefe filmen. Sowas habe ich bisher noch nicht gesehen, das war ein Spiel mit den Flippern, ein Vor und Zurück, ein Streicheln und Stoßen. Ich bin mir sicher, dass es eine Art Verführung war zwischen einem Männchen und einem Weibchen… Nach fünf Minuten sind die Tiere dann aber abgetaucht. Was sie dort unten gemacht haben, bleibt ihr Geheimnis…

Du versuchst an das Erbgut der Wale zu kommen und sammelst dazu Hautfetzen, Sperma und sogar Walkacke! Was machst Du danach mit den Proben und welche Ergebnisse erhoffst Du Dir davon?

Wir möchten natürlich an die DNA gelangen, die uns sagt, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist, aus welcher Population das Tier stammt und vielleicht sogar, wie alt es ist. In der Walkacke können wir auch Hormone untersuchen. Die Kacke hier vor Rarotonga stammt in den meisten Fällen von den neugeborenen Kälbern, die noch gesäugt werden. Die Mütter fressen ja hier in der Region nichts, deshalb scheiden sie auch nichts aus.

Was kannst Du uns über diese Walgruppe im Südpazifik sagen? Kannst Du vielleicht auch Vergleiche ziehen zwischen der Situation vor 21 Jahren und heute?

Die südpazifischen Buckelwale gehören zu einer bedrohten Gruppe, die sich immer noch nicht vom Walfang erholt hat. Hauptsächlich wurden die Wale durch russische Boote erlegt, was kaum bekannt ist. Über die Wanderungen und die Vermischung mit anderen Buckelwal-Populationen wissen wir nur wenig.

Wo befindet sich die nächste Buckelwal-Population?

Im Westen in Australien, im Osten in Südamerika. Über die 21 Jahre hatten wir eine enorm hohe Vielfalt in den Beobachtungen und der Anzahl gesichteter Wale. Vor einigen Jahren gab es eine Saison, in der wir nur 80 Walbeobachtungen in der ganzen Zeit hatten, also ungefähr zwischen Juli und Oktober. Im letzten Jahr hatten wir fast 500 Walbeobachtungen, wir sind noch an der Auswertung, um eine Aussage darüber zu treffen, wie viele verschiedene Individuen wir gesehen haben. Es waren auf alle Fälle deutlich mehr als in den Jahren zuvor. An den Rückenflossen und an den Fluken kann ich mittlerweile sehr gut erkennen, ob ich dieses Tier in den Tagen zuvor schon gesehen habe. Vermutlich ist das wie bei einem Schäfer, der auch nach längerer Zeit die einzelnen Schafe unterscheiden kann. Meine Schafe schwimmen eben im Wasser und wiegen 15 Tonnen.

Auf Rarotonga scheinen Dich sehr viele Leute zu kennen und vor allem auch zu mögen. Die Menschen rufen Dich an, wenn sie einen Wal gesehen haben und die Fischer kontaktieren Dich über Funk und erzählen von ihren Beobachtungen. Wie hast Du es geschafft, die Bevölkerung so für Dich zu gewinnen und so ein gutes Verhältnis aufrechtzuerhalten?

Ich glaube, das Wichtigste war, den Menschen hier nicht meine Wertvorstellungen und meine Moral aufzuzwingen. Ich bin hierher gekommen, um ‚ihre‘ Wale zu studieren, nicht ‚meine‘. (Im Hintergrund röhrt ein Motorrad und fährt auf ihr Grundstück). Oh… das ist meine Rennmaschine! Ich wollte die Methoden der polynesischen Kultur erlernen und nicht meine Arbeitsweise aufzwingen. Gleich nach meiner Ankunft habe ich den Menschen gesagt, dass jeder mit mir hinaus zu den Walen fahren kann, natürlich ohne zu bezahlen. Hunderte haben das Angebot angenommen, fantastisch. Ich konnte die Leute kennenlernen und gleichzeitig habe ich sie etwas näher zu ‚ihren‘ Walen gebracht, die sie vorher noch nicht wirklich gut kannten. Auch wenn ich mich heute wie ein Einheimischer fühle, sage ich immer noch ‚eure Wale‘ und nicht ‚meine Wale‘. Dann habe ich das Whale-Center gebaut, eine Art Museum und Ausstellung, in der unsere Geschichte der Walforschung dargestellt wird und die Besucher viel über diese großartigen Tiere lernen können. Ich nehme nichts, ich versuche, viel zu geben…

… aber Du nimmst die Walkacke mit…

(lacht) Ja, aber damit kann ja ansonsten niemand etwas anfangen. Die stinkt nämlich gewaltig…

Gehst Du auch an die Schulen, um den Kindern Deine Geschichte zu erzählen?

Ohja, ich war in allen Schulen auf Rarotonga mehrere Male und gehe nach wie vor regelmäßig dorthin. Das macht großen Spaß, die Kinder zeigen eine enorme Begeisterung für alles, was im Meer lebt. Und ich finde es großartig, hinterher auf der Straße von den Kids der Klasse angesprochen zu werden und mir die verschiedenen Geschichten ihrer Walbeobachtungen anzuhören. Das ist für mich wie ein Geschenk. Eine tolle Verbindung und Freundschaft zu den Menschen hier.

Wie können Menschen Dich bei Deiner Arbeit unterstützen? Suchst Du regelmäßig nach Mitarbeitern?

Ich bekomme hunderte Anfragen von Leuten, die unbedingt bei mir arbeiten wollen. Aus der großen Zahl die richtigen Mitarbeiter auszuwählen ist wirklich schwierig. Ich möchte gerne potentielle Kandidaten vorher treffen, weil ein Lebenslauf noch nichts darüber aussagt, wie die Person sich in einem Team verhält und wie sie auf einem schwankenden Boot arbeitet. Ich kann von Glück reden, dass ich bisher einige wirklich tolle Assistenten hatte… aber natürlich auch einige, die weniger geeignet waren für den Job. Es ist sicher nicht einfach, hier zu arbeiten, es basiert alles auf freiwilliger Mitarbeit, und das mehrere Monate am Stück, nahezu jeden Tag auf dem Meer. Die fantastischen Begegnungen mit den Walen sind die Belohnung, und das begeistert fast jeden! Selbst wenn ich manchmal einen freien Tag anbiete, antworten die meisten: „Ein freier Tag? Bist Du verrückt? Wir fahren sofort wieder raus!“

Gibt es Möglichkeiten, Dich finanziell mit Spenden zu unterstützen?

Unsere Organisation ist vollständig unabhängig und finanziert sich durch die Arbeit mit verschiedenen Filmteams, aber auch durch Spenden. Zusätzlich vermiete ich mein Haus in Maine, USA, während ich hier im Pazifik arbeite. Das Leben auf Rarotonga ist extrem teuer, aber wir versuchen, günstig zu leben. Selbst auf See spare ich Treibstoff, weil ich regelmäßig den Motor abstelle und das Boot treiben lasse. Dabei kann ich dann das Hydrophon ins Wasser lassen und verärgere die Wale nicht durch laute Geräusche. Wer mir Geld spenden möchte, kann das gerne auf meiner Webseite www.whaleresearch.org tun, das geht einfach über einen Klick und die Bezahlung über PayPal. Das Geld geht direkt auf das Konto der Organisation und hilft uns, diese Forschung weiter voranzutreiben und die Buckelwale besser zu verstehen und zu schützen. Und ich glaube, das ist einfach die Aufgabe in meinem Leben.

www.whaleresearch.org