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Tiefseemuscheln ziehen nach Kiel

Ihr natürlicher Lebensraum ist dunkel und nach menschlichen Begriffen äußerst ungemütlich. Muscheln der Gattung Bathymodiolus, Tiefseeverwandte der Miesmuscheln, leben in 500 bis über 3000 Metern Wassertiefe an Kalten Quellen oder an Hydrothermalquellen, auch bekannt als Schwarze Raucher, an denen aufgrund tektonischer Prozesse bis zu 400 Grad Celsius heißes Wasser aus dem Meeresboden schießt. An diesen Stellen des Meeresgrunds ist das Meerwasser mit Mineralien, aber auch mit Gasen wie Methan und Schwefelwasserstoff angereichert. Hoch spezialisierte Bakterien nutzen diese Stoffe zur Energiegewinnung. Davon profitieren wiederum die Muscheln: Sie ernähren sich zum größten Teil, indem sie mit den Bakterien in Symbiose leben, also den von den Mikroorganismen produzierten Kohlenstoff für sich nutzen. Doch über die genauen Lebensumstände der Tiefseeorganismen, ihre Fortpflanzung und Verbreitungsmöglichkeiten ist noch wenig bekannt. „Langfristige und großräumige Untersuchungen im natürlichen Lebensraum der Muscheln sind aufgrund der Wassertiefe und des hohen technischen Aufwandes bei Tiefseearbeiten kaum möglich“, sagt die Biologin Corinna Breusing vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Jetzt ist es Breusing in Kooperation mit dem Kiel Marine Organism Culture Center (KIMOCC), einem Gemeinschaftsprojekt des GEOMAR mit dem Kieler Exzellenzcluster Ozean der Zukunft, gelungen, Tiefseemuscheln der Art Bathymodiolus azoricus in Versuchsräumen des GEOMAR zu kultivieren. „Das ist schon etwas Besonderes. Weltweit sind wir neben dem Oregon Institute of Marine Biology und der Universität der Azoren die einzige Einrichtung, die es überhaupt geschafft hat, Bathymodiolus-Muscheln erfolgreich in Kultur zu halten“, sagt Corinna Breusing. Sie schreibt im Rahmen der deutsch-kanadischen Graduiertenschule HOSST am GEOMAR ihre Doktorarbeit darüber, wie sich verschiedene Arten der Gattung Bathymodiolus in der Tiefsee herausgebildet haben und wie der Austausch zwischen verschiedenen Populationen erfolgt. „Ohne die Möglichkeit, die Muscheln unter kontrollierten Bedingungen zu beobachten, wäre das kaum möglich“, betont Breusing.

Ihre Forschungsobjekte wurden während einer Ausfahrt des französischen Forschungsschiffs „Pourqoi Pas“ im Sommer 2013 mit dem Tiefseeroboter „Victor 6000“ von einem 850 Meter tief gelegenen hydrothermalen Schlot in der Nähe der Azoren im Atlantik gesammelt. Das Halten der Tiefseemuscheln stellt für die Wissenschaftler eine große Herausforderung dar: Um die lichtscheuen Tiere beziehungsweise deren Symbionten ausreichend mit dem für sie lebenswichtigen Schwefelwasserstoff und Methan zu versorgen, haben die Forscher eine kontinuierliche Fütterung mit Natriumsulfid und einem Luft-Methangemisch installiert. Nicht ganz einfach. „Da sowohl Schwefelwasserstoff als auch Methan in entsprechenden Konzentrationen giftig und brennbar sind, mussten einige Sicherheitsaspekte bedacht werden. Aber genau solche Herausforderungen bei der Kultur von Meerestieren in der Forschung zu bewältigen, ist unser Ziel“, erläutert Dr. Claas Hiebenthal, Leiter des KIMOCC.
Algen zum Frühstück
Da Bathymodiolus azoricus im Gegensatz zu vielen anderen Tieren aus vergleichbaren Tiefsee-Lebensräumen zusätzlich zur Symbiose mit den Bakterien auch über ein eigenes Verdauungssystem verfügt, bekommen sie außerdem einzellige Meeresalgen als Futter. „Die Muscheln sind aktiv, filtrieren sichtbar das Wasser und klettern in den Aquarien herum – es scheint ihnen bei uns also gut zu gehen“, so Dr. Hiebenthal weiter. Und einen Umweltfaktor der Tiefsee mussten die Wissenschaftler glücklicherweise nicht simulieren: Bathymodiolus-Muscheln können sich erstaunlicherweise an Atmosphärendruck anpassen, so dass keine Verwendung von Druckkammern notwendig ist.

Einen ersten großen Erfolg konnten die GEOMAR-Forscher bereits verbuchen: Kürzlich ist es gelungen, einzelne Muscheln mithilfe von Hormoninjektionen kontrolliert zum Ablaichen zu bringen. „Das ist bei dieser Art vorher noch niemandem gelungen“, berichtet Breusing begeistert. Ihr Vorhaben ist es nun, die Larven der Tiere großzuziehen, um Schwimmverhalten und Temperaturtoleranzen zu bestimmen. „Diese Daten sind wichtig, um in Computermodellen die Verdriftung von Larven im Ozean nachvollziehen zu können.“

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. „Die Reproduktion von Bathymodiolus azoricus im Labor und Untersuchungen an deren Larven sind absolutes Neuland“, betont Prof. Dr. Thorsten Reusch, Leiter des Forschungsbereichs Marine Ökologie am GEOMAR, der auch die Doktorarbeit von Corinna Breusing betreut. „Wir sind gespannt, wie es weitergeht.“

Weitere Infos findet ihr auf www.geomar.de, www.futureocean.org/en/kimocc/index.php und www.hosst.org