TEXT: Gerald Nowak
Der Funkspruch kommt unverhofft und nach langer Suche auf offener See. Die Crew des zweiten Zodiacs hat einen Wal am Boot, und wir sollen zu ihnen kommen. Amanda, unsere Kapitänin, ist erst etwas erstaunt. Warum sollen wir kommen? Wale verweilen meist nur kurz neben den Zodiacs. »Yes, you should come now! You can be sure that the whale will still be there when you‘re here!« Wieso der Kollege so sicher ist, funkt Amanda retour. »Der Wal hält sich schon seit über einer Stunde unter unserem Boot auf und macht keine Anstalten, zu verschwinden«, wird ihr zurückgefunkt.
Amanda dreht das Boot, und wir rasen in Richtung des anderen Zodiacs, das wir nach 20 Minuten erreichen. Bei uns an Bord herrscht gespannte Ruhe. Ist der Wal noch dort? Auf dem anderen Zodiac sitzen vereinzelt Schnorchler und winken uns. Die Handzeichen der Besatzung deuten auf ein paar Schnorchler, die neben dem Zodiac ruhig im Wasser liegen und den Wal beobachten. Der hat sich scheinbar unter dem Schlauchboot versteckt, denn zwei weitere Wale schwimmen Kreise um unsere Zodiacs. Brian, der Kapitän des anderen Boots, ruft zu uns rüber: »Diese Wal-Dame hat genug von den beiden Rowdies, die sie schon seit einiger Zeit belästigen. Hier, unter meinem Gummiboot, scheint sie sich sicher zu fühlen. Seit mehr als anderthalb Stunden hängt sie schon dort.«
Wir werden beobachtet
Jetzt heißt es auch für uns: Fertigmachen zum Schnorcheln! Paarweise dürfen wir zu der Wal-Dame ins Wasser gleiten. Nie mehr als drei Schnorchler gleichzeitig sollen sich dem Tier nähern, um es nicht zu verschrecken. Abwechselnd schnorcheln wir vorsichtig ein wenig näher heran. Dies ist meine erste Begegnung mit einem Buckelwal! Was für ein Erlebnis. Die Wal-Dame hier dürfte gut zwölf Meter lang sein. Ganz ruhig liegt sie unter dem Schlauchboot und bewegt sich kaum. Doch bei genauerem Hinsehen ist klar zu erkennen: Sie beobachtet uns! Ihr Auge folgt mir, wenn ich mich etwas weiter vor- oder zurückbewege. Was für ein ergreifender Augenblick.
Man sollte nie zu nah an einen Wal heranschnorcheln, um ihn nicht zu erschrecken. So bleibe ich vorerst auf sicherer Distanz. Das muss ich ohnehin, wenn ich das Tier komplett im Bild haben möchte. Dei Wal-Dame ist einfach riesig.
Dann bekomme ich das Zeichen, dass wir wechseln. Die nächste Schnorchelgruppe möchte diese fantastische tierische Begegnung auch erleben. Da kommen unter uns plötzlich die zwei Rowdies wieder durch. Die Wal-Dame wird schlagartig unruhiger und hebt das über ihr liegende Zodiac leicht aus dem Wasser. Mit einem leichten Platschen lässt sie es wieder auf die Wasseroberfläche fallen. Das Geräusch soll scheinbar die beiden Männchen auf Distanz halten. Was es auch tut. Unglaublich, was hier abläuft! Der Wal nutzt unsere Anwesenheit, um in Ruhe gelassen zu werden. Erstaunlich, wozu Tiere in der Lage sind.
Dieser eine »Augenblick«
Nachdem alle Schnorchler unseres Boots im Wasser waren, wäre jetzt eigentlich die Gruppe aus dem anderen Zodiac wieder dran. Doch diese hat genug erlebt und will zum Mutterschiff zurück. Da ihr Schlauchboot aber als Schutzschild der Wal-Dame fungiert, kommt Capt‘n Brian auf die Idee, die Zodiacs zu tauschen, sodass die andere Gruppe dann mit unserem Schlauchboot zurückfährt.
Gesagt, getan! Auch wenn wir Angst haben, den Wal zu verscheuchen, wenn so viele Schwimmer gleichzeitig und so nah an dem Tier im Wasser sind. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Wal-Dame bleibt ganz ruhig liegen und scheint sich zu freuen. Denn während unserer Boot-Tauschaktion kommen ihre beiden Bedränger nicht mehr auf die Idee, noch einmal nahe heranzukommen.
Nachdem die andere Schnorchelgruppe uns verlassen hat, ergreife ich nochmal die Gelegenheit, ins Wasser zu springen und traue mich diesmal vorsichtig ein wenig näher an die Wal-Lady heran. Selbst als ich direkt vor ihr schwimme und Porträtaufnahmen von ihrem Kopf mache, rührt sie sich kein bisschen. Sie scheint es fast zu genießen. Denn ganz langsam rollt sie sich zur Seite und zeigt mir ihren Bauch. Nur um anschließend wieder in die ursprüngliche Lage zurückzukehren und diesmal bis auf wenige Zentimeter an meinen Domeport heranzuschwimmen. Ob sie sich darin wie in einem Spiegel sieht? Ich kann es mir nicht vorstellen. Aber es ist schon ein komisches Gefühl, wenn ein so riesiges Tier bis auf Zentimeter auf einen zuschwimmt.
Der Weg zu den Walen
Nach gut zweieinhalb Stunden wollen auch wir die Wal-Dame in Ruhe lassen. Wegfahren aber auch nicht, denn wir schützen sie ja scheinbar. Doch kaum sind alle zurück an Bord und niemand mehr bei ihr im Wasser, scheint sie genug zu haben und taucht ab. Die beiden Rowdies haben das wohl auch bemerkt und sind wenig später wieder hinter ihr her. Wie die Geschichte zwischen den dreien ausgegangen ist, und ob die Wal-Dame sich doch noch einem der beiden Jungs ergeben hat, wissen wir nicht. Aber für uns war das hier vor den Silverbanks ein »Erlebnis für‘s Leben«. Einmalig. Unvergesslich.
Um auf die Silverbanks zu kommen, muss man in die Dominikanische Republik fliegen. Die DomRep, wie sie oft genannt wird, ist von Europa aus per Direktflug zu erreichen. Wer sich den Trip selbst bucht, sollte bei der Flugbuchung unbedingt darauf achten, dass er den richtigen Zielflughafen wählt. Denn es gibt zwei internationale Airports: Punta Cana und Puerto Plata. Die meisten Flüge führen nach Punta Cana. Dorthin gibt es günstigere Tickets, da sich viele große Hotels dort befinden.
Wer den falschen Flug gebucht hat, muss eine sechs- bis siebenstündige Autofahrt über die Insel nach Puerto Plata machen. Die Schiffe, die auf die Silverbanks hinausfahren, legen hier ab. Es gibt nur wenige Lizenzen für Safariboote, weshalb die Touren oft schon Jahre vorher ausverkauft sind. Die Wale sind von Januar bis März und meist auch noch Anfang April mit Sicherheit dort. Die Schiffe sind meist fünfeinhalb Tage vor den Banks, sodass man genug Gelegenheit hat, die Tiere aus der Nähe zu erleben.
Wir genießen noch weitere tolle Begegnungen, so eine Annäherung mit einer Wal-Mama, deren Baby Spaß am Spielen hat und immer wieder auf uns zuschwimmt und versucht, uns anzustupsen. Dann einen Buckelwal, der kopfüber senkrecht im Wasser steht und singt. Gruppen, die gemächlich an uns vorbeiziehen. War ich anfangs noch verstimmt, dass man den Tieren nur schnorchelnd begegnen darf, muss ich jetzt sagen: Gut, dass das so ist. Ich denke, die Atemreglergeräusche würden sie verjagen. Schnorchelnd ist man auch viel schneller und flexibler, wenn die Tiere in ihrer Geschwindigkeit superlangsam, für uns superschnell dahinziehen. Das Erlebnis »Wal-Schnorcheln« auf den Silverbanks ist wirklich einmalig.
Buckelwale
Der Buckelwal ist ein Vertreter der Furchenwale, die zu den Bartenwalen gehören. Die Tiere wiegen 25 bis 35 Tonnen und können sogar bis zu 40 Tonnen schwer werden. Mit einer Länge von durchschnittlich zwölf bis 15 Metern, in Ausnahmefällen auch mal 18 Meter, gehören sie zu den kleineren Bartenwalen. Deutlicher Unterschied zu anderen Wal-Gattungen sind die großen Flipper, ihre Brustflossen. Sie erreichen fast ein Drittel ihrer Körpergröße und werden bis zu fünf Meter lang. Buckelwale ernähren sich in den Sommermonaten von Krill (Kleinkrebse), der Teil des Planktons ist. Diesen verschlucken sie in 50 und mehr Metern Tiefe in großen Mengen.
Im Winter nehmen sie keine Nahrung zu sich und zehren von ihren Fettreserven. Wenn der Wal auf Tauchgang geht, macht er einen Buckel. Das ist charakteristisch für diese Gattung und hat dem Tier seinen Namen gegeben. Der Buckelwal bleibt nur ein paar Minuten unter Wasser, bevor er wieder auftaucht, um Luft zu holen. Er kann aber auch bis zu 30 Minuten unter Wasser verweilen. Immer wieder kann man die Tiere dabei beobachten, wie sie aus dem Wasser springen:das sogenannte »Breaching«. Dabei nimmt der riesige Wal bereits weit unter der Wasseroberfläche Anlauf, schnellt wie eine Rakete aus dem Wasser und lässt sich dann eindrucksvoll mit seinem Körper auf die Wasseroberfläche fallen.
Forscher gehen davon aus, dass so eventuell Parasiten von der Haut gelöst werden sollen, oder dass die Tiere so miteinander kommunizieren. Das »Breaching« könnte den Walen aber auch einfach nur Spaß machen oder zum Balzverhalten gehören. Es wird in den Wintermonaten, wenn Paarungszeit ist, immer wieder beobachtet, dass männliche Wale sehr aggressiv werden und Rivalen regelrecht abdrängen. Sie rammen sich gegenseitig oder fügen sich sogar Verletzungen zu, die jedoch selten tödlich sind. An den Silverbanks, die in den Gewässern vor der Dominikanischen Republik liegen, kommen sie in unseren europäischen Wintermonaten zusammen, um sich zu paaren oder ihre Jungen zur Welt zu bringen.
Die Tragezeit eines Buckelwals beträgt zwölf Monate. Bei der Geburt wiegen die Jungtiere schon zwei Tonnen, sind bereits etwa vier Meter lang und brauchen rund 80 Liter Muttermilch am Tag. Dadurch nehmen sie täglich bis zu 50 Kilogramm zu. Die Mutter dagegen frisst nichts und nimmt ab, denn im Winter zehrt sie von ihren Fettreserven. Junge Buckelwale sind ab dem Alter von fünf Jahren und einer Größe von etwa zwölf Metern geschlechtsreif.
Weltweit ziehen sie zur Paarung und zum Gebären ihrer Jungen in warme, meist seichte Gewässer. Dort sind sie vor ihren Hauptfeinden sicher. Weder Orcas noch Weiße Haie halten sich dort auf. Vermutlich gehören die Silverbanks vor der Küste der Dominikanischen Republik deshalb zu den besten Reviere, um diese Tiere zu erleben.