Die Konstellation der Neumondphase lädt den Ozean mit viel kinetischer Energie auf. Aufgrund der übermäßigen Wasserbewegung müssen die Taucher heute Morgen etwas härter kämpfen. Das Flosseln bis zum Ende des Bergrückens in »Boo West« stellt sowohl ihre Schwimmfähigkeiten als auch ihre Fähigkeit, Atemgas zu sparen, auf die Probe. Auch die letzte Beobachtungsposition an der Spitze des Riffs bringt nicht die gewünschte Erleichterung. Da der Kamm von 12 auf 30 Meter Tiefe allmählich abfällt, gibt es keinen Ort, an dem man sich vor der Strömung verstecken kann. Hier, wo die Strömung auf das ansteigende Riff trifft, erreicht die Dichte an Meereslebewesen ein Ausmaß, das anderswo kaum zu finden ist.
Tausende von Gorgonienfächern, Peitschenkorallen, eine Vielzahl von Weichkorallen und die Menge an Rifffischen schaffen perfekte Szenarien. Allerdings macht die starke Strömung das Beobachten und Fotografieren sehr schwierig. Vorerst müssen sich die Taucher in der strömungsberuhigten Seite aufhalten und das Spektakel aus der Ferne beobachten. Auch kleine Fische verlassen ihre sicheren Unterschlüpfe nicht. Lauernde Raubfische können die Strömung schnell zu ihren Gunsten nutzen und nach Beute schnappen, die in der Strömung zappelt. Plötzlich wird die Strömung schwächer. Alle Fische scheinen die veränderten Bedingungen sofort zu erkennen. Da sie wissen, dass die Flaute zwischen den Gezeiten nicht lange andauern wird, gehen sie schnell zu ihren täglichen Routineaktivitäten über.
Einige fressen, während andere spielen. Einige suchen Putzerstationen auf, während andere sich in großen Schwärmen zusammenfinden. Die Taucher haben nun alle Freiheiten, um das Riff zu erkunden. Die ganze Schönheit, die dieser Ort zu bieten hat, ist genau hier und jetzt. Und so findet jeder schnell seine eigene Ecke, um den magischen Moment zu genießen, bis die Anzeige des Finimeters auf die »lästigen« 50 bar sinkt. Große Kartoffelzackenbarsche paaren sich mit Napoleon-Lippfischen zur Jagd. Eine Formation von Fledermausfischen, die an der Seite wogt, erregt meine Aufmerksamkeit, bis in der Ferne ein riesiger Schwarm von Kaiser- und Blauflossenbarschen auftaucht. Die Masse an Fischen kommt direkt auf mich zu, bis sie mich völlig verschlingt und mir für ein paar Sekunden die Sicht nimmt. Als die Fische vorbeiziehen, und sich die Szene wieder aufhellt, sind die Fledermausfische verschwunden.
Stattdessen starren mich zwei große Queensland-Zackenbarsche mit überraschten Augen an. Wo bin ich hier nur gelandet?
Zurück auf der Amira werden die Taucher von einer ebenso eifrigen Crew und einem Glas frischen Mangosaft begrüßt. Ein Pärchen kann jedoch nicht genug vom Wasser bekommen. Für sie sind die winzigen Kalksteininseln mit ihrer spärlichen Vegetation, dem ruhigen, warmen Meer und den herrlichen Korallengärten unter ihnen eine zu große Versuchung, der sie nicht widerstehen können. Per Kajak und ausgestattet mit einer Flasche Wasser und Schnorchelausrüstung macht sich das Paar auf zu einem intensiven privaten Abenteuer. Sie paddeln zwischen den Inseln hin und her und schnorcheln überall dort, wo sie die Korallen unter sich anziehend finden. Sie müssen tatsächlich ein paar schöne Ecken gefunden haben, denn den nächsten Tauchgang haben sie verpasst.
Privatsphäre vor Misool
Da die Corona-Pandemie-Beschränkungen aufgehoben wurden, fühlt sich das Reisen nach Indonesien fast genauso an wie vor 2020. Abgesehen von den Flugpreisen, die um etwa 40 Prozent gestiegen sind. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen sich West-Papua aufgrund seiner mühsamen Erreichbarkeit einer größeren Touristenflut widersetzte. Vor allem über die Drehkreuze Jakarta und Manado hat sich ein breiter Korridor geöffnet, der die berühmten Riffe im Herzen des Korallendreiecks für Reisende leicht zugänglich macht. Von Europa aus dauert die Anreise in der Regel etwa 30 Stunden und zehrt an den menschlichen Energiequellen.
Sobald jedoch die Umrisse der Stadt Sorong, dem Tor zu Raja Ampat, am Horizont verschwinden, steigt das Energielevel schnell wieder an. Raja Ampat beherbergt zweifellos die ursprünglichsten Korallenriffe der Erde. Aber auch hier sind die Möglichkeiten zur Erkundung begrenzt. Die berühmtesten Riffe sind gut bekannt und oft mit einer großen Anzahl von Tauchern »besetzt«, was die Abgeschiedenheit nicht mehr zum Ausdruck bringt. Glücklicherweise sind die Tauchaktivitäten hier unten im Misool-Gebiet auf jeweils ein Boot pro Tauchplatz beschränkt, was eine wertvolle Privatsphäre ermöglicht.
Magischer Berg
Seit fast zehn Jahren sind Mantarochen in indonesischen Gewässern vollständig gesetzlich geschützt. Berichten zufolge kann ein Mantarochen in seinem Leben bis zu zwei Millionen US-Dollar einbringen. Dieser Betrag ergibt sich aus der Zahl der Taucher, die Geld ausgeben, um einen dieser Giganten zu sehen. Es mag traurig sein, dass das Schicksal eines Tieres davon abhängt, wie viel Geld und Aufregung es den Menschen bringt. Aber es ist immer besser, das Geld zu zählen, solange der Mantarochen noch lebt, als seine Kiemen für ein paar Hundert Dollar auf dem chinesischen Markt zu verkaufen.
Die Wahrheit ist, dass für viele Taucher eine Reise nach Raja Ampat unvollständig wäre, ohne dieses majestätische Tier gesehen zu haben. »Magic Mountain« ist ein Tauchplatz südlich der Insel Warakaraket, an dem sich das berühmteste Riff mit Manta-Putzerstation in Raja Ampat befindet. Seine Beliebtheit ist so groß, dass die Safariboote einen Tauchgang hier im Voraus buchen müssen.
Das sieben Meter tiefe, kuppelartige Riff hat einen dichten Hartkorallenbewuchs, der ein Putzerregiment aus Falterfischen und Putzerlippfischen beherbergt. Großaugenmakrelen und Fledermausfische tummeln sich an der strömungsexponierten Seite.
Das gilt auch für die Chevron-Barrakudas. Französische Grunzer bilden einen pulsierenden Fischschwarm, der ständig seine Form verändert. Dieses Riff bietet zig Gelegenheiten zum Beobachten und Fotografieren. Doch jeder wartet auf den großen »Schatten«. Die eingeschränkte Sicht erlaubt es dem Manta, fast unbemerkt aufzutauchen. Als er hinter der Fischsuppe hervorkommt und wie ein UFO über der Putzerstation landet, machen sich die Falterfische und Lippfische an die Arbeit. Während die kleinen Arbeiter Haut und Kiemen des Tieres säubern, hängt der Manta in der leichten Strömung und scannt das Gesicht jedes neuen Tauchers genau ab. Für viele ist dieser Blick eines Mantas der spektakulärste Moment, den ein Taucher unter Wasser erleben kann.
Dampier Strait
Je weiter die Amira nach Norden vordringt, desto häufiger werden Tauchboote gesichtet. Dennoch gibt es Tauchgänge, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Die ersten Sonnenstrahlen durchbrechen den grauen Himmel, als wir am bekannten »Melissa‘s Garden« abtauchen. Der holländische Entdecker Max Ammer benannte den Tauchplatz nach seiner Tochter. Unberührte Hartkorallen bedecken den Grund, so weit das Auge reicht. Die sanfte nördliche Strömung, die heute sauberes blaues Wasser mit sich führt, erlaubt es den Tauchern, sich frei am Riff entlang zu bewegen, und den Fischen, kompakte Schwärme zu bilden. Dank des milden Morgenlichts hat der flache Teil des Riffs den größten Reiz. Rote Pinjalo-Schnapper hängen friedlich über Salatkorallen, bis in der Ferne ein Schwarzspitzen-Riffhai auftaucht. Als sich der Raubfisch nähert, verteilen sich die Fische schnell in den Schutz der Hartkorallen. Nachdem der Hai hinter dem Horizont verschwunden ist, formieren sich die Fische wieder zu einer eleganten Gruppe.
Cape Kri
Auch Cape Kri ist ein viel zu häufig besuchter Tauchplatz. Aber für Fotografen ist der legendäre Süßlippenfelsen in 38 Metern Tiefe eines der fotogensten Motive in diesem Gebiet. Aus unbekannten Gründen scheint dieser Korallenblock Süßlippen aus ganz Raja Ampat anzuziehen. Die Fische sind so dicht gedrängt, dass zwischen ihren gestreiften Körpern kaum noch Wasser zu sehen ist. Während ich mich ganz auf die Fotografie konzentriere, erscheint in der Ferne eine riesige schwarze Wolke über dem Sandboden.
Sie pulsiert wie ein Schwarm wilder Bienen und kommt schnell auf uns zu. Es ist ein riesiger Schwarm von Doktorfischen. Direkt vor uns teilen sie sich in zwei Strömungen auf. Dann vereinigen sich die beiden Zweige des Schwarms wieder, um den Paarungstanz fortzusetzen. Es ist kein Zufall, dass sich die Fische hier in so großer Zahl versammelt haben. Der Neumond ist der übliche Zeitpunkt für die Paarung von Doktorfischen und Süßlippen. Aber wo genau das Paarungsritual stattfindet, hängt von der Beschaffenheit der Strömung und der Jahreszeit ab. Wir sind zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Fragile Natur
West-Papua hat viele Geschichten zu erzählen, viele Geheimnisse zu lüften und intensive Begegnungen zu vermitteln. Obwohl diese Korallenriffe die lebendigste Vielfalt an Meereslebewesen repräsentieren, die die Erde zu bieten hat, handelt es sich nicht um einen bodenlosen Brunnen natürlicher Quellen. Die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten sind auch hier in Raja Ampat zu sehen: Müll, Verschmutzung, und Taucher, die keinen Respekt vor der Natur zeigen, sind die Hauptursachen für das Minus im lokalen Ökosystem. Bleibt zu hoffen, dass diese Reportage die Tauchgemeinschaft und Meeresliebhaber motiviert, diesen Ort so schön zu erhalten, wie er ist.
Reiseinfo: MSV Amira
Preisbeispiel von
Aquaventure Tauchreisen:
Inkludierte Leistungen:
Flug mit Qatar Airways/Garuda ab/bis Frankfurt nach/von Sorong (25 Kilogramm Freigepäck)
Transfers ab/bis Flughafen Sorong
11 Nächte auf MSV Amira in einer Doppelkabine im Unterdeck inklusive Vollpension (Frühstück,Mittagessen, Nachmittagssnack, Abendessen, exkl. Alkohol und Softdrinks)
10 Tauchtage mit je 3-4 Tauchgängen inklusive Nitrox und ENOS sowie allen nötigen Gebühren
Preis pro Person: 7400 Euro
Buchung:
www.aquaventure-tauchreisen.de
Infos AMIRA:
www.amira-indonesien.de