Reiseberichte

Wildwuchs

Auszug aus dem Bordtagebuch des britischen U-Boots »HMS Safari«, Eintrag vom 10. April 1943: »Konvoi gesichtet. Schätzen 5000 Bruttoregistertonnen. Kanonen und Tarnanstrich. Ein wunderbares Ziel!«

Sardinien Obwohl der Konvoi von mehreren kleineren Schiffen und von Flugzeugen eskortiert wird, entschließt sich Kommandant Benjamin Bryant um 15.50 Uhr zum Angriff. Um 17.19 Uhr feuert er auf der Höhe von Torre Finocchio seinen ersten Torpedo ab. Im Lauf der nächsten Stunden versenkt die »Safari« drei italienische Schiffe, die von Cagliari aus in Richtung La Maddalena unterwegs sind: die Frachter »Isonzo« und »Entella« sowie das zu einem Transporter umgebaute Passagierschiff »Loredan«. 

Die »Isonzo« sinkt schnell. Vier Besatzungsmitglieder kommen ums Leben, 18 werden vermisst.

Die »Loredan« wird noch schwerer getroffen. Schon wenige Minuten nach der Attacke schlägt sie auf dem Meeresgrund auf. Fast die komplette Besatzung stirbt.

Nur die »Entella« erhält eine Gnadenfrist. Ihr Kapitän steuert das Schiff an Land und verkeilt es mit dem Bug zwischen den Klippen. Matrosen und Offiziere retten sich an Land. Erst am nächsten Tag kehrt die »Safari« zurück. Das U-Boot schießt den waidwunden Schiffskörper von der Oberfläche. Sicher ist sicher. Könnte ja sein, dass der Feind das Schiff noch bergen und weiter nutzen kann.

Gorgonien im Leck

Fast 70 Jahre später dreht ein solides Schlauchboot Kreise über der Untergangsstelle der »Loredan«. Vier Augenpaare suchen eine Plastikflasche, die hier irgendwo auf der Meeresoberfläche treiben muss. Die Sonne blendet und erschwert die Suche. Eine Nadel im Heuhaufen, aber wozu gibt es GPS? Noch eine Kehre mit dem Boot. Da ist das Ding – das unauffällige Treibgut markiert eine Boje, die etwa fünf Meter unter der Wasseroberfläche hängt.

Warum nicht direkt an der Oberfläche, wäre doch einfacher zu finden? »Das haben die Behörden nicht erlaubt«, sagt Marco Hansekowski, Mitinhaber der Tauchbasis »Oceanblue Diving«, und zuckt mit den Schultern. Im Wasser führt ein Seil schräg von der Plastikflasche zur Boje – und von dort aus steil hinab zum Wrack.

Auf den ersten 20, 30 Metern begleitet die Sonne die Taucher, dann wird es langsam dämmrig.

Nicht dunkel, nicht so, als habe jemand das Licht ausgeschaltet. Eher so, als habe jemand die Fensterjalousien zur Hälfte heruntergelassen. 

Zuerst ist vom Wrack nichts zu sehen, dann gibt das Dunkelblau erste Umrisse preis. Die »Loredan« liegt auf der Backbordseite. In 48 Meter Tiefe Landung auf dem Steuerbord-Rumpf, der höchsten Stelle des Wracks. Schnell weiter runter. Auf Trödelei steht Dekostrafe. 

Buntes Torpedo-Loch

Touchdown in 62 Meter Tiefe. Ins Heck des Schiffes hat ein Torpedo ein Loch gerissen. Gorgonien haben die Ränder dieses Riesenlecks überwuchert. So dicht stehen die Fächer, als wollten sie irgendjemandem den Eintritt verwehren. Jeder Blitz des Fotografen reißt das Gelb und Rot der Gorgonien für Sekundenbruchteile aus dem Dämmer. Nicht nur am zerstörten Heck des Schiffs. Oben auf dem Rumpf ist ein ganzes Gorgonienfeld gewachsen. Geistergarnelen bevölkern die leeren Laderäume. Eine Farbenpracht, wie man sie vielleicht auf Truk Lagoon erwarten würde. Aber nicht hier, keine zwei Flugstunden von zuhause.

Landschaft voller Schweigen

Die Suche nach dem »wahren Sardinien« führt über Serpentinen. Sardinien, so sagt hier jeder Einheimische, liegt nicht an der Küste. Die Küste, das ist Italien. Die schroffe Berglandschaft im Landesinneren, das ist Sardinien. Zum Beispiel in der Ortschaft San Gregorio. Eine kleine Kirche, leider verschlossen. Keine Menschenseele. Geschlossene Fensterläden. Südländische Architektur unter einem makellos blauen Himmel, abbröckelnder Putz. Dahinter karge Berghänge.

Über all dem ein würziger Duft aus Macchia, Pinien und irgendwelchen Kräutern. Ein Geruch, in den man am liebsten ein Steak einlegen würde.

 Einen richtigen Italo-Western könnte man hier drehen, einen dieser Streifen mit grandiosen Landschaftsaufnahmen und wenig Dialog. Dazu passen auch die älteren Herren, die im nahgelegenen Ort Burcei an der Straße sitzen und schweigen. Und jeden Neuankömmling mit misstrauischem Interesse beobachten.

Banditen-Unterschlupf

Misstrauen gegenüber Fremden hat Tradition im verschlossenen Landesinneren Sardiniens. Kein Wunder, nach Jahrhunderten der Fremdherrschaft und Ausbeutung durch Karthager und Araber, Spanier und Italiener. »Was über das Meer kommt, will uns bestehlen«, so lautet ein altes sardisches Sprichwort. Zwar hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass das heutzutage nicht mehr unbedingt der Fall ist. Doch eine archaische Hirten- und Bauernkultur ändert sich nicht von heute auf morgen.

Bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden die legendären sardischen Banditen, die vor allem durch Raubüberfälle und Entführungen von sich reden machten, bei der einheimischen Bevölkerung mühelos Unterschlupf.

Viele dieser einstigen Schlupfwinkel, Dörfer wie Orgosolo und Mamoiada in der wilden Berglandschaft der Barbagia, sind zwar mittlerweile zur Touristenattraktion geworden. Ein bisschen Outlaw-Atmosphäre lässt sich hier aber bis heute schnuppern. Auch wenn man weiß, dass die Tage des sardischen »banditismo« gezählt sind. Auch wenn die Gewalt vergangener Tage durch politischen Protest abgelöst wurde, der sich vor allem in Wandgemälden (murales) äußert.

Das zweite Opfer

Am Strand von Geremeas. Ein anderer Morgen, ein anderes Sardinien. Nicht schroff, sondern lieblich. Das zarte Violett der Bougainvillea im Schönheitswettbewerb mit dem hellen Blau des Himmels. Der Strand ein Wirklichkeit gewordener Fernwehtraum herbstmüder Mitteleuropäer. Das Wasser glitzert unverschämt blau in der Sonne, Wellenkronen bilden weiße Farbtupfer. 

Ein paar Meter geht es in Neopren und mit Flasche auf dem Rücken über den Sand. Dann patschen die Füßlinge ins kristallklare Wasser, und die Hände reichen die Ausrüstung hoch ins Schlauchboot. Es ist noch früh, aber schon jetzt wärmt die Sonne die Gesichter. Das Ziel: die »Isonzo«, das zweite Opfer des britischen U-Boots »Safari«. Auch hier das gleiche Spiel: Plastikflasche suchen, von dort zur Boje und steil abwärts zum Wrack. Wieder geht es weit hinunter. Die »Isonzo« liegt in 57 Meter Tiefe auf Grund. Ein Gigant von über 100 Meter Länge und 3990 Registertonnen, besser erhalten als die »Loredan«. Die gewaltigen Aufbauten ragen parallel zum sandigen Grund ins schattige Wasser.

Auch die »Isonzo« ruht in stabiler Seitenlage. Die dekorativen Gorgonien fehlen, dafür zielen zwei Bordkanonen ins Mittelmeer. 

»Manchmal trifft man am Wrack auf große Zackenbarsche«, sagt Marco. Und auch hier könne es vorkommen, dass mal ein Mondfisch vorbei schwimmt. »Auch wenn das Wrack noch so groß ist, Marco führt einen sicher zu den schönsten Stellen«, sagt die Marine-Taucherärztin Dominique Pawlowski, die dem deutschen Herbst für ein paar Tage nach Sardinien entflohen ist.

Ende durch eigene Mine

Sie ist auch am nächsten Tag dabei – beim Tauchgang zum italienischen Tanker „Romagna“. Die Geschichte dieses Schiffes endet ebenfalls in einer Tragödie: Am 2. August 1943 ist es von Arbatax nach Cagliari unterwegs. In den gewaltigen Tanks schwappt Treibstoff. Die Ladung muss wichtig sein für die sardische Hauptstadt, denn die »Romagna« wird von sechs U-Boot-Jägern und zwei Macchi-Jagdflugzeugen eskortiert. 

Vergeblich, denn es ist nicht der Feind, der das Schiff versenkt. Gegen 8 Uhr läuft die »Romagna« etwa sechs Seemeilen vor Cagliari auf eine Mine, die Teil des eigenen Verteidigungsgürtels ist – der aber vermutlich dem Kapitän des Tankers nicht mitgeteilt wurde. Die Explosion sprengt den Bug ab. Acht Besatzungsmitglieder verlieren ihr Leben. Der Rest des Tankers schwimmt brennend 800 Meter weiter, attackiert von gegnerischen Flugzeugen. Erst dann erbarmt sich das Meer des gemarterten Schiffs.

In 42 Meter Tiefe kracht das Heckteil auf den Grund. Im Gegensatz zur »Loredan« und zur »Isonzo« steht es aufrecht auf dem Sandboden. Fischwolken wabern um das Schiff, Brassen, Mönchsfische und Fahnenbarsche. Ein gut 100 Meter langes Ballungsgebiet.

Besonders deutlich werden die Dimensionen des Tankers an der Schiffsschraube. Jedes einzelne Blatt überragt einen Taucher bei weitem.

 Das Ruder ist fast sechs Meter hoch. Auch dieses Wrack brummt den Tauchern Dekostrafen auf. Langsam geht es am Seil aufwärts. Ein paar Minuten dösen, dann ab an die Oberfläche. Zur Sonne und zum Anblick der Puderzucker-Strände, die wie eine Trennlinie zwischen Bergwelt und Meer wirken. Und zu der Plastikflasche, die unauffällig auf den Wellen dümpelt. Und den Schauplatz einer Tragödie markiert.

Reise-Info

Tauchen: Die Basis Oceanblue Diving liegt in der Bungalowanlage Kala e Moru in der Gemeinde Geremeas östlich der Hauptstadt Cagliari. Tauchen funktioniert bei Oceanblue Diving folgendermaßen: Beladen eines Kleinbusses mit der Tauchausrüstung. Fahrt zum Strand, Umladen der Tauchgeräte in ein robustes Zodiac und ab geht die Post. Die Fahrtzeiten zum Tauchplatz betragen meist nur wenige Minuten, in Ausnahmefällen bis zu einer halben Stunde. Neben Wracks hat die Basis eine ganze Reihe küstennaher, anfängerfreundlicher Tauchplätze auf Lager. Als i-Tüpfelchen bietet die Basis Tagesauflüge mit einem komfortablen Katamaran. Auch Charter ist möglich. Für einen Tauchtag auf dem Katamaran müssen mindestens vier Leute zusammenkommen (40 Euro pro Tag pro Person plus zwei Tauchgänge). 

Unterkunft: Wer mit Oceanblue Diving tauchen möchte, bezieht am besten in der Ferienwohnungs-Anlage Kala e Moru oder im Hotel Monastero Quartier. Beides kann über die Tauchbasis gebucht werden.

Weitere Infos: www.oceanblue-diving.com