Text: Lars Brinkmann | Tauchen an der Algarve
Vom Meer verkrustet, ragt das Kanonenrohr in einen grünen Himmel. An anderen Tagen, solchen mit guter Sicht, kann man von hier aus die Aufbauten der »Comander Hermenegildo Capelo« im Atlantikdunst erkennen. Heute nicht. Heute sieht man von der Spitze des Geschützrohrs gerade mal bis zur Lafette. Aber was soll’s, das Wrack erscheint dadurch nur noch mystischer. Entlang der Reling taucht die Gruppe vom Bug aus in Richtung der Aufbauten, die sich irgendwann aus dem Nebel schälen, fast schon überraschend.
An vielen Stellen haben Anemonen, Fächerkorallen und andere Niedere Tiere den Rumpf besiedelt. Nicht quietschbunt wie in tropischen Meeren, sondern in den weiß-braunen Farbtönen des kälteren Wassers. Kleine Drachenköpfe haben am und im Wrack ein Jagdrevier gefunden. Stoische Gesellen, die sich auch vom Licht der Tauchlampen nicht beeindrucken lassen. Vielerorts kann man in das Wrack hinein tauchen. Ein (fast) gefahrloses Unterfangen, da immer irgendwo das Licht eines Ausgangs sichtbar ist. Und doch haben die Guides beim Briefing vor dem Tauchgang klargemacht, dass niemand in das Schiffsinnere eindringen soll, der sich damit überfordert fühlt.
Vieles kann, nichts muss am Wrack der »Comander Hermenegildo Capelo«, einer ehemaligen Fregatte der portugiesischen Marine, die 1968 in Dienst gestellt wurde und während der portugiesischen Kolonialkriege in Afrika zahlreiche Einsätze bestritt. 2004 wurde das Schiff außer Dienst gestellt, aber neun Jahre später brach es noch einmal auf, zu seiner letzten Mission, als eines der vier künstlichen Wracks des »Ocean Revival Parks«. Am 15. Juni 2013 rissen mehrere Explosionen exakt geplante Löcher in den Rumpf des Schiffs und schickten es auf den Grund. Hier liegt es nun auf 35 Meter Tiefe vor der Küste der Algarve, nicht weit entfernt von den anderen drei Wracks dieses gigantischen künstlichen Riffs.
Ein langer Weg
Die Geschichte des »Ocean Revival Parks« beginnt im März 2007. Initiator Luis Sá Couto stellt damals eine Anfrage an die portugiesische Marine – er braucht nichts weniger als ein paar Schiffe zum Versenken. Überraschung: Die Zusage, dass er vier ausgemusterte Exemplare bekommen kann, erhält er schnell. Offensichtlich sind die Militärs froh, das nutzlos gewordene Kriegsgerät auf elegante Art und Weise los zu sein.
Ein verheißungsvoller Auftakt, aber eben nur der Beginn eines langen Marschs durch die Institutionen. Die nächste Etappe führt Couto nach Kanada. Im Norden Vancouvers arbeiten weltweit anerkannte Experten für die umweltgerechte Versenkung von Schiffen: die Artificial Reef Society of BC. Hier holt sich der Portugiese das nötige Know-how. Alles soll korrekt vonstatten gehen, die Wracks gründlich gesäubert und ohne negative Folgen für die Natur versenkt werden. Außerdem sollen sie später aufrecht auf dem Meeresgrund stehen und so präpariert werden, dass Gefahren für Taucher weitgehend ausgeschlossen sind.
Ausgestattet mit dem Fachwissen und der Unterstützung der Kanadier wendet sich Couto an die Behörden in seiner Heimat. Für diese ist das Projekt absolutes Neuland, und so verlangen sie eine Vielzahl ökologischer, wirtschaftlicher und archäologischer Studien. Mitten im Genehmigungsprozess wechseln aufgrund von Wahlen die Verantwortlichen. Couto muss von vorne anfangen. Erst 2012 liegt schließlich die Genehmigung vor, die vier Schiffe zu versenken.
Die Sprengungen
Damit ist der Papierkrieg vorüber, die Handarbeit beginnt. Lose Teile werden aus den Schiffen geholt, Öl und andere Schadstoffe entfernt, Fenster und Türen ausgebaut, die Schiffe innen und außen penibel gereinigt. Dann werden sie an die geplante Versenkungsstelle geschleppt. Alle Schotten werden geöffnet, über dem Kiel große Mengen Ballast verteilt. Tief unten im Schiffsrumpf bringen portugiesische Marinesoldaten und die kanadischen Spezialisten an vorab festgelegten Stellen speziellen Sprengstoff an. Entscheidend ist dabei weniger die Wucht der Explosion als die enorme Hitze im Inneren der kreisförmig angebrachten Ladungen.
Am 30. Oktober 2012 sind zunächst die Korvette »Oliveira e Carmo« und das Patrouillenboot »Zambeze« an der Reihe. Explosionen krachen, Feuerbälle steigen in den Himmel, obwohl die entscheidenden Detonationen tief im Schiffsinneren stattfinden. »Hollywood«, sagt später der an der Aktion beteiligte Tauchlehrer Pedro Miguel Gonçalves Caleja, »ein bisschen Brimborium darf bei so etwas nicht fehlen.«
Auf den Beobachtungsschiffen bricht Jubel aus. Soldaten der portugiesischen Marine und die Organisatoren liegen sich in den Armen. Zwei Kriegsschiffe an einem Tag als Taucherattraktionen versenkt, innerhalb von fünf Stunden – eine gelungene Premiere. Am 15. Juni 2013 geht der zweite Akt über die nasse Bühne, als die »Comander Hermenegildo Capelo« versenkt wird. Am 21. September des gleichen Jahres folgt mit der »Almeida Carvalho« ein als Eisbrecher taugliches Forschungsschiff.
Alle vier Versenkungen verlaufen planmäßig, oder zumindest fast. Die »Oliveira e Carmo« schlägt mit dem Heck zuerst auf und weist heute ein zusammengestauchtes Hinterteil auf. Teile der »Zambeze« liegen schräg auf dem Boden. Ansonsten alles wie gewünscht: vier Schiffe versenkt, nahezu die komplette Tonnage aufrecht auf rund 30 Meter tiefem Sandgrund. Das Ocean Revival Project hat sein Ziel erreicht.
Tauchen an den Wracks
Die Algarve gehört zu Südeuropa, Afrika ist nicht weit. Doch taucherisch ist sie klar vom Atlantik geprägt. Das Wasser ist mit rund 15 Grad eher kühl, nicht blau, sondern grün, und richtig ruhig ist es meist nur früh am Morgen. Hinzu kommen Tauchtiefen von 30 Metern und mehr. Der »Ocean Revival Park« ist damit keine Spielwiese für Anfänger. Für einigermaßen erfahrene Taucher ist er jedoch gut machbar.
Sie finden hier imposante Wracks mit spannender Geschichte, auch wenn sie künstlich versenkt wurden. Mehrstöckige Aufbauten, dicht bewachsene Strukturen und ein marines Leben, das sich oft erst auf den zweiten Blick zeigt. Der größte Trumpf der vier Schiffe sind jedoch ihre inneren Werte. Wer nicht in die Wracks eindringen will, muss es nicht. Wer es sich zutraut, sollte es tun. Von fast jeder Stelle im Inneren ist irgendwo das diffuse Licht eines Ausgangs zu erkennen. Und fast überall begegnet man den Spuren des Lebens, das portugiesische Matrosen einst an Bord führten: Kantinenstühle, Kessel der Kombüse, Trainingsgeräte, Schreibmaschinen, Instrumente, enge Sanitärbereiche und sogar ein Tischfußball-Kicker.
Natürlich sind die gut zehn Jahre nach der Versenkung nicht spurlos an den Wracks vorbeigegangen. Besonders im Winter verändern Stürme die Strukturen sichtbar. Brücken weisen Schäden auf, Antennen brechen ab. Doch eines steht fest: Der Ocean Revival Park ist derzeit Europas größtes künstliches Riff.
Das natürliche Riff
Knapp 50 Kilometer östlich von Lagos liegt das Städtchen Armação de Pêra. Vor seiner Küste erstreckt sich Portugals größtes natürliches Riff, etwa elf Kilometer lang und parallel zur Küste verlaufend. Bis zur zweiten Eiszeit bildete dieses Riff die damalige Küstenlinie. Als das Meer große Landmassen abtrug, entstand ein neuer, dicht besiedelter Lebensraum.
Zwischen Lagos und Faro haben Meeresforscher fast 1300 Arten identifiziert, 889 davon allein im Gebiet des Riffs vor Armação de Pêra. Dennoch gibt es Sorgen. In den vergangenen Jahren sind bestimmte Fischarten seltener geworden, möglicherweise durch Überfischung und Massentourismus. Umso bedeutender ist die Einrichtung eines marinen Schutzgebiets an der Südküste der Algarve, das nach jahrelanger Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Wissenschaft, Fischerei und Stiftungen realisiert wurde.
Ab ans Riff – mit ein paar Etappen
Der Weg zum Tauchplatz ist ungewöhnlich und führt über mehrere Etappen. Die Ausrüstung wird per Anhänger an den Strand gebracht, das Boot liegt zunächst auf dem Trockenen. Ein Traktor schiebt es ins Wasser, erst dann beginnt die eigentliche Ausfahrt.
Nach rund 20 Metern Abstieg treffen die Taucher auf ein zerklüftetes Riff mit kleinen Steilwänden und schmalen Canyons. Auf den ersten Blick unscheinbar, offenbart der zweite Blick eine enorme Vielfalt. Vor allem Makrofotografen kommen auf ihre Kosten: Nacktschnecken in erstaunlicher Zahl, dazu Schwämme, Fächerkorallen und vereinzelte Gorgonen. Hummer, Oktopusse, Conger und Muränen beäugen die Besucher aus ihren Verstecken.
Aus Schrott wird Kultur
Vor Albufeira wartet ein weiteres Highlight: das ArtReef des Künstlers Vhils, bürgerlich Alexandre Farto. Zwölf Meter unter der Wasseroberfläche liegt eine Unterwasser-Galerie mit 13 Skulpturen aus Eisen und Beton. Das Material stammt überwiegend aus stillgelegten Kohlekraftwerken des Energieversorgers EDP und wäre sonst verschrottet worden.
Nach gründlicher Reinigung und Bearbeitung schuf der Künstler Skulpturen mit filigranen Öffnungen und Formen. Er wollte Geschichten über das Verhältnis der Menschen zum Meer erzählen, von Konfrontation, Spannungen und Berührungspunkten. Kunst war dabei nur ein Teil des Projekts. Genauso wichtig waren ökologische Aspekte. Mehrere wissenschaftliche Einrichtungen begleiteten Planung und Umsetzung, um sicherzustellen, dass ein neuer Lebensraum entsteht.
2023 wurde das ArtReef versenkt und eingeweiht, kurz darauf begannen erste Korallenimplantationen. Zwei Jahre später zeigen sich bereits deutliche Spuren der Besiedlung. Noch sind die industriellen Konturen erkennbar, doch mit der Zeit wird die Natur die Kunst überwachsen. Dann hat das Projekt seinen Zweck erfüllt.
Urlaub an der Algarve – wo bleiben?
Wer einen Urlaub an der Algarve plant, hat die Qual der Wahl. Zahlreiche Städte und Städtchen von Sagres im Westen bis Faro im Osten bieten touristische Infrastruktur, Traumstrände und eindrucksvolle Klippenlandschaften. Es soll nicht verschwiegen werden, dass der Massentourismus auch hier, im äußersten Süden Portugals, seine Spuren hinterlassen hat, etwa in Form mancher Bettenburg.
Aber keine Sorge: Es gibt auch lauschigere Unterkünfte, und die Auswahl ist groß. Für seinen Aufenthalt würde der Autor zwei Orte besonders empfehlen. Zum einen Lagos, eine schöne Stadt mit interessanter Geschichte, pittoreskem Zentrum, sehr guten Restaurants und einer Marina, von der aus die Ausfahrten zum »Ocean Revival Park« starten. Zum anderen das Städtchen Silves, etwa 15 Kilometer vom Meer entfernt. Eine vielleicht überraschendere Wahl, dafür zentral gelegen, nicht weit von den beschriebenen Tauchattraktionen entfernt und geprägt von einer imposanten Burgruine, engen Gassen und landestypischen Restaurants. Wer auf Strand verzichten kann, findet hier ein Portugal, in dem die Zeit ein Stück langsamer zu vergehen scheint.
Reiseinfos: Portugal / Algarve
Die Algarve ist Portugals südlichste Provinz und mit ihren rund 155 Kilometern Felsen- und Sandstränden das touristische Rückgrat des Landes. Der Vorwurf, man finde hier kaum noch Ursprüngliches, greift zu kurz. Zwar gibt es in Städten wie Portimão oder Albufeira Bettenburgen und in der Hochsaison reges Badetouristen-Treiben.
Wer sich jedoch Zeit nimmt, durch Städte wie Lagos oder Faro streift, Fischerorte wie Alvor besucht, durch das beschauliche Silves bummelt oder in den Pinienwäldern rund um Monchique unterwegs ist, entdeckt auch an der Algarve ein unverfälschtes Portugal.
Anreise
Wer keine Pauschalreise gebucht hat, fliegt am besten nach Faro und setzt die Reise mit dem Mietwagen fort. Bei frühzeitiger Buchung sind die Preise moderat. Die Distanzen sind überschaubar. Vom Flughafen Faro nach Lagos sind es beispielsweise rund 87 Kilometer, größtenteils über die mautfreie Autobahn A22.
Tauchen
Die Lage im äußersten Südwesten Europas täuscht leicht darüber hinweg, dass hier im Atlantik getaucht wird. Das Wasser ist kühl, im Frühling und Sommer etwa 15 Grad Celsius, meist eher grün als blau und gelegentlich bewegt. An den Wracks des »Ocean Revival Parks« kommen Tauchtiefen von rund 30 Metern hinzu. Diese Spots sind daher nicht für Anfänger geeignet, für erfahrene Taucher jedoch gut machbar.
Es gibt zudem Tauchplätze, die direkt vom Strand aus erreichbar sind. An felsigen Strandabschnitten eröffnen sich bereits vielfältige Unterwasserlandschaften in Tiefen zwischen sieben und 18 Metern. Diese Spots eignen sich auch für Einsteiger. Gleiches gilt für das ArtReef von Vhils, das keine besonderen taucherischen Anforderungen stellt.
Tauchbasen
Die taucherische Infrastruktur an der Algarve ist gut ausgebaut. Zahlreiche Tauchbasen bieten Bootsausfahrten zu den attraktivsten Spots, Ausrüstungsverleih und Ausbildung an.
Für diese Reportage haben wir mit folgenden Tauchbasen zusammengearbeitet:
WeDive, Lagos: https://www.wedive.pt/de/
DiveSpot, Armação de Pêra: https://divespot.pt/en.html
Easy Divers, Albufeira: https://www.easydivers.pt
Sonstige Aktivitäten
Neben dem Tauchen bietet die Algarve zahlreiche weitere Wassersportmöglichkeiten, darunter Surfen, Windsurfen, Segeln, Wasserski, Wakeboarding, Jetski sowie Kajak- und SUP-Touren. Besonders empfehlenswert ist eine Kajaktour entlang der Felsklippen der Ponta da Piedade bei Lagos, etwa mit dem Anbieter Bluefleet, der verschiedene Möglichkeiten zur Erkundung der Küste anbietet.
Kulinarischer Tipp
Im Restaurant Don Sebastião im Herzen der Altstadt von Lagos werden hervorragende traditionelle Gerichte der portugiesischen Küche serviert, begleitet von einer sehr guten Weinauswahl.
Der »Ocean Revival Park«:
die vier Wracks
Korvette »Oliveira e Carmo«
In den 1970er Jahren in der portugiesischen Marine in Dienst gestellt, sollte das Schiff zunächst die Präsenz Portugals in den Gewässern der damaligen Kolonien stärken. Nach der Nelkenrevolution verlor diese Aufgabe ihre Bedeutung. Anschließend diente die Korvette der NATO als Begleit- und Patrouillenschiff in portugiesischen Gewässern. 1999 wurde sie außer Dienst gestellt.
Länge: 85 Meter
Maximale Tiefe: 33 Meter
Forschungsschiff »Almeida Carvalho«
Das Schiff und die Labore an Bord dienten der portugiesischen Marine und dem Hydrographischen Institut für Forschungszwecke. Dank ihrer robusten Hülle war die »Almeida Carvalho« auch für Einsätze in eisbedeckten Gewässern geeignet. 1969 trat sie unter dem Namen »Kellar« ihren Dienst in der US Navy an, 1972 wurde sie an Portugal übergeben. Außerdienststellung im Jahr 2002.
Länge: 64 Meter
Maximale Tiefe: 35 Meter
Fregatte »Comander Hermenegildo Capelo«
Nach der Indienststellung im Jahr 1968 nahm das Schiff an zahlreichen Einsätzen teil, vor allem in afrikanischen Gewässern und im Fernen Osten. Es wurde zudem für Übungen und Rettungsaktionen eingesetzt und überquerte den Äquator rund 60 Mal. Die Fregatte war das erste Schiff der portugiesischen Marine mit weiblichen Crewmitgliedern an Bord. Ende der 1980er Jahre wurde sie mit Anti-U-Boot-Waffen ausgerüstet. Außerdienststellung 2004.
Länge: 102 Meter
Maximale Tiefe: 35 Meter
Patrouillenboot »Zambeze«
In Dienst gestellt 1971, außer Dienst gestellt 2003. Einsätze führten das Schiff unter anderem vor die Küsten Westafrikas, zu den Kanaren und Kapverden. Zu den Aufgaben gehörten Rettungsaktionen und Fischerei-Inspektionen. Die Darstellung des Wracks ist nicht vollständig korrekt, da das Heck leicht verdreht auf dem Grund liegt.
Länge: 44 Meter
Maximale Tiefe: 30 Meter