Wissen

Suchen und bergen

Polizeitaucher arbeiten fast immer bei schlechter Sicht. Kein Problem, wenn es um Beweismittel, Diebesgut oder Tatwaffen geht. Gruselig, wenn sie in schmutzig brauner Brühe nach Leichen tasten müssen.

Ein Horror-Job, bei Nullsicht jederzeit in eine Leiche fassen zu können? »Darauf reagiert jeder unterschiedlich. Aber kein Mensch ist eine Maschine«, sagt Reinhard »Sam« Gläser, Polizeioberkommissar und früher selbst Taucher, heute Gerätewart und Tauchergruppenführer.

»Manche gestandenen Mannsbilder schreien in dem Moment ins Tauchertelefon, andere ziehen den Toten einfach kommentarlos raus.«

Fast immer erkenne man den Schreck des fündig gewordenen Tauchers von oben aber an den Luftblasen: „Auf einmal blubbert ein großer Atemschwall an die Wasseroberfläche.“ Ganz spurlos gehen die Leichenfunde an keinem der Polizeitaucher vorbei, besonders wenn es sich um Kinder und Gewaltopfer handelt. »Meine erste Wasserleiche war ein fünfjähriger Bub. Er sah schrecklich entstellt aus. Das Schlimmste, was ich je gesehen habe«, erzählt Gläser. »Diese Bilder habe ich bis heute im Kopf. Dabei ist das schon 1978 passiert.“ Die Gefühle des Tauchers während der Unterwasser-Suche schildert Gläser so:

„Du bist angespannt, voll konzentriert und hast die ganze Zeit im Kopf: Wann stoße ich auf die Leiche? Du tastest Dich durch Unrat und alles Mögliche, hier ein Ast, da ein Autoreifen, dort irgendetwas Hartes. Triffst Du auf etwas Weiches, kann es die Leiche sein.“

Insgesamt eine psychisch extrem belastende Situation – zumal man ja unter Wasser trotz Sprechverbindung zur Oberfläche sehr einsam ist. Es kommt vor, dass Gespräche mit den Kollegen für die mentale Bewältigung des Erlebten nicht ausreichen. In diesem Falle, beispielsweise bei einem „Post Traumatic Stress Disorder“ (PTSD, Posttraumatische Belastungsstörung), steht den Einsatztauchern professionelle psychologische Hilfe beim Präsidium der Bayerischen Bereitschaftspolizei zur Verfügung.

Grundvoraussetzungen an einen Polizeitaucher

• Freiwilligkeit
• Tauchertauglichkeit
• psychische Belastbarkeit
• Rettungsschwimmabzeichen Silber
• beruflicher Status Polizeivollzugsbeamter
• zehnwöchiger Taucherlehrgang im Fachzentrum München
Danach jährlich:
• mindestens 20 Tauchstunden, möglichst gleichmäßig verteilt
• mindestens vier Fortbildungstauchstunden unter Einsatz-Bedingungen
• medizinische Untersuchungen

Suche nach Samurai-Schwert

Die Suche nach Vermissten ist aber nicht der einzige Auftrag der Tauchergruppe. Der zweite Schwerpunkt liegt in der Suche nach Dingen, die für Kriminalpolizei oder Justiz wichtig sind. »Wir haben etwa zu einem Drittel die Suche nach Leichen, zu zwei Dritteln die nach Beweismitteln«, sagt Polizeihauptmeister Klaus Albrecht. Zum Beispiel im März 2004, als die Polizeitaucher auf dem Grund des Main-Donau-Kanals Waffen entdeckten, die in einem Nürnberger Waffengeschäft gestohlen worden waren. Der Tipp für die Fundstelle kam wie so oft vom Täter selbst, der sich aufgrund »hohen Fahndungsdrucks« der Polizei gestellt hatte.

Doch nicht immer verläuft die Suche so erfolgreich: In der Nähe von Ingolstadt wühlten sich die Beamten mehrere Wochen lang auf der Suche nach einem Samuraischwert, mit dem jemand ermordet worden war, durch die Brühe – vergeblich, die Tatwaffe ist bis heute verschollen. 

Oftmals kommen bei derartigen Tauchgängen Metallsuchgeräte zum Einsatz, doch trotz moderner Technik und ausgefeilter Suchmethoden richtet sich die Erfolgsquote in erster Linie nach menschlichen Quellen – nach der Glaubwürdigkeit und der Genauigkeit der Aussagen von Zeugen oder Tätern.

Immer wieder ziehen die Polizeitaucher Waffen aus der Brühe, nach denen sie eigentlich gar nicht gesucht haben. »Wir hatten schon reichlich Zufallsfunde“, sagt Polizeihauptmeister Dominik Rank: »Kalaschnikows, Glock-Pistolen, Handgranaten.« Wenn es um explosives Kriegsgerät geht, sind die Polizeitaucher allerdings nicht mehr für die Bergung  zuständig: Dann kommt der Kampfmittel-Räumdienst ins Spiel.

Tresore. Leider leer.

Was die Polizeitaucher bei ihren Einsätzen sonst noch so aus Flüssen und Seen holen, wirkt wie ein Ausflug ins Raritätenkabinett: »Wir hatten sogar schon Tresore, die in der Strömung über 50 Meter weit abgetrieben sind. Leider war meist nichts drin«, sagt Polizeihauptmeister Klaus Albrecht schmunzelnd. Und natürlich fördern die Polizeitaucher auch reichlich Zivilisationsmüll zutage. Verkehrsschilder, Einkaufswägen, Fahrräder, Tampons, Windeln – alles keine Seltenheit.

Die Bandbreite der Zufallsfunde scheint unerschöpflich: »Ein Totenschädel war auch schon dabei. Das bizarrste war bislang allerdings eine Tüte voller Dildos«, berichtet Polizeihauptmeister Christian Krull und lacht kopfschüttelnd.

Auch wenn die Nürnberger Polizeitaucher ihren Humor nicht verloren haben – wenn es um die Suche nach Toten geht, verschwindet die gute Laune aus ihren Gesichtern. Vor allem in großen Seen kann sich die Suche nach Vermissten extrem schwierig gestalten. Beispiel Großer Brombachsee, rund 40 Kilometer südlich von Nürnberg: Einen ertrunkenen Amerikaner fanden die Polizeitaucher hier schon nach zwei Tagen, die Suche nach einem Segler, der mit seinem Boot gekentert war, zog sich über mehrere Monate – und blieb doch lange ergebnislos, obwohl Bodenscanner, Sonar und Spezialhunde zum Einsatz kamen, die an der Wasseroberfläche den Geruch von Leichen wittern können. Doch die abzusuchende Fläche war so groß wie 1200 Fußballfelder, und das bei schlechter Sicht in einem unübersichtlichen Terrain mit Bewuchs, Mauerresten und ehemaligen Sandgruben am Ufer des künstlichen Sees – die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
Erst nach 13 Jahren wurde der Segler – aufgrund der verbesserten Technik eines Echosonar-Sidescan, von der Wasserwacht geortet  und in einer gemeinsamen Aktion der Münchner, Dachauer und Nürnberger Polizeitauchergruppen  geborgen.

Erfolg hatten die Bereitschaftspolizisten auch, als sie einen Nürnberger suchten, der im trauten Eigenheim seine Ex-Frau angeschossen hatte und dann von einer viel befahrenen Brücke im Osten der Stadt in den Wöhrder See gesprungen war – allerdings wurde der Mann erst dann entdeckt, als er wegen der bei der Verwesung entstehenden Gase an die Oberfläche trieb.

Aufgabengebiete

• Suchen und Bergen von Leichen, Leichenteilen, Beweismitteln, Diebesgut und anderen Gegenständen
• Spurendokumentation und Spurensicherung im Wasser
• Umweltschutzmaßnahmen
• Absuchen von Gewässern zur Gefahrenvorsorge
• Mitwirken beim Überprüfen von Wasserfahrzeugen, Schleusen, Schiffsanlege- oder Fährstellen (z.B. Absuche nach Sprengmitteln im Vorfeld von Staatsbesuchen usw.)
• Absperrmaßnahmen im Wasser
• Unterstützen bei Unfällen, größeren Gefahren- und Schadenslagen, Katastrophen
• Menschenrettung

Heiße Sommer, viele Vermisste

Insgesamt kommen die Polizeitaucher auf rund 40 Taucheinsatztage und mindestens 20 Tauchstunden pro Jahr und Taucher – wobei heiße Sommer mit vielen Badegästen an den Seen die Frequenz bei der Vermisstensuche erhöhen können. Jedoch kommen auch in der kalten Jahreszeit zahlreiche Menschen in Gewässern ums Leben, so dass Taucheinsätze bei Eis und Schnee keine Seltenheit darstellen. 

Die maximale Tauchtiefe liegt bei 50 Metern, in der Realität spielen sich die meisten Einsätze aber zwischen zwei und 20 Metern ab. Neben der Suche nach vermissten Personen und Beweismitteln müssen die Polizeitaucher eine ganze Reihe weiterer Aufgaben bewältigen. Dazu gehört beispielsweise die Spurensicherung unter Wasser, aber auch das Absuchen von Gewässern für die Gefahrenvorsorge, das Überprüfen von Schiffen und Schleusen und Maßnahmen für den Umweltschutz.

Auch die Hilfeleistung bei Unfällen und die Rettung von Menschen stehen auf der Agenda, bilden aber keinen Schwerpunkt. »In diesem Fall sind die Rettungstaucher von Feuerwehr oder Rettungsdiensten normalerweise schneller vor Ort«, sagt Polizeioberkommissar Norbert Nießlbeck, selbst bei der Wasserwacht aktiv.

Damit steht noch immer nicht genug auf der „to do-Liste“: Wenn kein Tauchereinsatz ansteht, erfüllen die Polizeitaucher die weiteren Spezialaufgaben der Technischen Einsatzeinheit (TEE) bei Großereignissen wie zum Beispiel Demonstrationen. Und das alles in einem riesigen Gebiet:

„Unser Zuständigkeitsbereich erstreckt sich von der Donau im Süden bis zum fränkischen Untermain im Norden, also der gesamte nordbayerische Raum“, erläutert Erster Polizeihauptkommissar Uwe Kokotek, Leiter der TEE, zu der die Polizeitaucher gehören.

Nachwuchssorgen hat die Einheit nicht, denn es gibt genügend Polizeivollzugsbeamte, die sich für die Ausbildung als Taucher interessieren – was nicht heißt, dass alle sie bestehen, denn die Ausbildung im Fachzentrum München ist hart und der Lehrplan prall gefüllt: Auf dem Programm der zehnwöchigen Ausbildung stehen eine Woche Theorie, eine Woche im Hallenbad und sechs Wochen im Freiwasser. Dabei werden Suchverfahren geübt, der Umgang mit Leine und Schleppstange, das Bedienen des Tauchertelefons in den Vollgesichtsmasken, Beweissicherung und Fotodokumentation – und natürlich wird die Belastbarkeit des Teilnehmers auf die Probe gestellt.

Organisation

• drei Tauchergruppen bei der Bereitschaftspolizei in Bayern
• Standorte: Nürnberg, München und Dachau
• Stationierung bei den Technischen Einsatzeinheiten (TEE), angegliedert an die Einsatzhundertschaften der Bereitschaftspolizei
• multifunktionale Verwendung, beispielsweise auch im Wasserwerfer, Sonderwagen oder Lautsprechwagen
• im Durchschnitt rund zehn aktive Polizeitaucher pro Standort
• intensive Zusammenarbeit mit der  Polizeidiensthundeführern, der Polizei-Hubschrauberstaffel, Rotem Kreuz, Wasserwacht, DLRG, Wasserschutzpolizei, Berufsfeuerwehr sowie dem Wasser- und Schifffahrtsamt

Nachwuchssorgen hat die Einheit nicht, denn es gibt genügend Polizeivollzugsbeamte, die sich für die Ausbildung als Taucher interessieren – was nicht heißt, dass alle sie bestehen, denn die Ausbildung im Fachzentrum München ist hart und der Lehrplan prall gefüllt.

Auf dem Programm der zehnwöchigen Ausbildung stehen eine Woche Theorie, eine Woche im Hallenbad und sechs Wochen im Freiwasser. Dabei werden Suchverfahren geübt, der Umgang mit Leine und Schleppstange, das Bedienen des Tauchertelefons in den Vollgesichtsmasken, Beweissicherung und Fotodokumentation – und natürlich wird die Belastbarkeit des Teilnehmers auf die Probe gestellt.

Eisdrama

Manchmal, wenn ihre Kollegen aus dem südbayerischen Raum anderweitig im Einsatz sind, müssen die Nürnberger Polizeitaucher auch südlich der Donau ran. So als im Simssee östlich von Rosenheim ein Schlittschuhläufer durch das dünne Eis bricht – und vor den Augen der herbeigeeilten Retter ertrinkt. Das Eis auf dem Simssee ist an diesem Tag so dünn, dass niemand zu dem Verunglückten vordringen kann, der sich mit letzter Kraft über Wasser zu halten versucht. Eine Leiter, ein Eisrettungsschlitten – auch unter diesen normalerweise bewährten Mitteln bricht das Eis. Auch zwei Versuche, vom Hubschrauber aus zu dem 44jährigen zu gelangen, scheitern.

Die Nürnberger Polizeitaucher finden die Leiche am zweiten Tag ihrer Suche. Aus knapp 20 Meter Tiefe holen sie den Körper an die Oberfläche, betten ihn in einen Leichensack und übergeben ihn der Feuerwehr, die mit einem neu angeschafften Luftkissenboot zur Stelle ist.

Der Tote, ein Bauunternehmer und Vorstand einer bekannten Musikkapelle, hinterlässt eine Frau und zwei Töchter. Auf Einladung der Familie nimmt der Tauchereinsatzleiter, Polizeihauptkommissar Michael Kern, in seiner Freizeit an der Trauerzeremonie teil. Nicht die erste menschliche Tragödie, mit der er in seinem Dienst konfrontiert wird. Dramen und Schicksalsschläge, die kleinen und großen Katastrophen des Lebens stecken fast immer dahinter, wenn die Polizeitaucher nach vermissten Personen suchen müssen.