Technik

Und dann kam ENOS – es veränderte die Welt des Tauchens

Das elektronische Notruf- und Ortungssystem, kurz ENOS, veränderte vor 20 Jahren die Welt des Tauchens. Nicht schlagartig. Anfangs waren die Widerstände der Tauchindustrie groß. Doch die Kundschaft, die Tauchcommunity, verlangte nach dieser Neuerung. Ein Rückblick.

Hersteller

Ein Taucher geht verloren. Wegen Fehlverhaltens während und nach einem Tauchgang. Er wird durch Zufall gefunden. Dieser Zufall heißt nicht ENOS. Denn das Rettungssystem wurde erfunden, um Zufall, respektive Notfall zu vermeiden. Der Taucher, nennen wir ihn »Jürgen«, war einer der sehr wenigen Menschen, der zwar ENOS dabei hatte, bei dem es aber angeblich nicht funktionierte.

Was war passiert?

Während einer Safari im Roten Meer: Jürgens Tauchgang neigt sich dem Ende. Er paddelt auf 15 Metern Tiefe. Nach längerer Zeit wirft er einen Blick auf sein Finimeter: 50 bar. Zeit aufzutauchen, denkt er. Er dreht sich einmal rundherum. Sein Buddy Michael ist nicht da! Der Typ ging ihm von Anfang an auf den Geist, weil er so lahm war. Doch vor zehn Minuten war er noch hinter ihm. Oder waren es 20 Minuten?

Egal. Auch sonst keine Taucher weit und breit zu sehen. »Wo die wohl alle abgeblieben sind? Kein Problem«, denkt sich Jürgen, »dann geh‘ ich allein hoch«. Er steigt auf fünf Meter Tiefe und macht einen Drei-Minuten-Sicherheitsstopp. Während er so vor sich hindümpelt, bemerkt er eine leichte Strömung. Sie schiebt ihn am Riff entlang und weiter ins Blauwasser, immer weiter. Eine Boje hat Jürgen nicht, die hat sein Buddy. »Schließlich reicht meist eine Boje pro Buddyteam«, so seine Erfahrung.

Das wird schon!

Jürgen ist an der Wasseroberfläche angekommen. Erst mal entspannen, Lage sondieren, das Zodiac kommt bestimmt gleich. Taucher sind auch hier keine zu sehen. Und die großen Boote? Da hinten die drei weißen Klötze! Nur dummerweise echt weit weg. »Zu weit zum Schwimmen«, denkt sich Jürgen. Da muss er doch mal dieses neue Sicherheitsdings ausprobieren. Das wurde ihm vor der Abfahrt ausgehändigt und angepriesen.

Es hieß, man solle es nutzen, wenn man abgetrieben ist. Das trifft jetzt offensichtlich auf ihn zu. Er holt es aus der Tasche. Doch wie weiter? Hätte er doch bei der Einweisung nur besser zugehört. Irgendwas mit »Hochhalten« wurde da gesagt. Also hält Jürgen den gelben Stab mit dem roten Ende so hoch, wie es nur geht. Doch keines der Boote macht sich auf den Weg.

© Benjamin Schulze – Symbolbild

Außer dem Hoch und Runter des gelben Stabs in Jürgens Hand zwischen den Wellenbergen passiert nichts. »Ah, das funktioniert natürlich nicht!« regt sich Jürgen auf. Er wird unruhiger. Was, wenn ihn niemand sieht? Oder vermisst? Wohin treibt ihn die Strömung? So etwas ist ihm auf seinen 56 Tauchgängen ja noch nie passiert!

Das Treiben kommt Jürgen lang vor. Dann sieht er ein Schlauchboot in seine Richtung fahren. Es kommt nicht zu ihm, sondern kreuzt ein paar hundert Meter entfernt. Wieder hält er den Stab nach oben. Da plötzlich wendet das Zodiac. Es nimmt Fahrt auf in seine Richtung. Erleichterung macht sich breit. Kurze Zeit später helfen ihm die drei ägyptischen Bootsleute an Bord. Dort steht eine kleine gelbe Kiste mit Bildschirm. Bootsführer Mo sagt, er habe ihn nur zufällig entdeckt, durch ein untypisches Blitzen an der Wasseroberfläche.

Die Suche beginnt, wenn der akustische Alarm losschrillt. Mit der mobilen Einheit kann ein Team auf einem kleinen Beiboot gezielt in die Richtung des Alarms fahren. Auf dem Bildschirm werden alle für den Bootsführer wichtigen Informationen übersichtlich dargestellt.

Jürgen antwortet, er habe doch den ENOS-Stab hochgehalten. Ob das nicht der Rettungsgrund gewesen sei? »Nein,« entgegnet Mo. »ENOS hat keinen Alarm ausgelöst.« Dabei zeigt er auf die gelbe Kiste und schüttelt den Kopf. »Dafür«, erklärt Mo, »müsstest du schon den roten, unübersehbaren Knopf am Ende des Senders um 180 Grad drehen.«

Fehleranalyse

Jürgens größter Fehler nach einer langen Fehlerkette war, dass er den ENOS-Sender nicht aktiviert hat. Die Ursache für sein langes Treiben nach einem verkorksten Tauchgang war ein vermeidbarer Bedienungsfehler. Es war kein Versagen der Technik. Das Notfall-Rettungssytem ENOS hat in 20 Jahren Bestand keine Ausfälle zu verzeichnen.

Die wenigen verbrieften Fälle sind alle auf Bedienungsfehler zurückzuführen. Dem Erfinder von ENOS, Karl Hansmann, war von Anfang an eine möglichst einfache Bedienung im Ernstfall wichtig. Denn klar war und ist: Die Verunglückten stehen im Moment des Geschehens unter Stress.

Die heutige Relevanz?

Jürgen hatte in der Situation mehr Glück als Verstand. Der Tag des Zwischenfalls hätte sein letzter sein können. Denn damals wie heute ist das Abtreiben bei starker Strömung für Taucher eine große Gefahr. Allein für 2023 lassen sich elf Fälle finden, über die medial berichtet wurde, sowie fünf weitere Fälle, die ausschließlich in Internetforen besprochen wurden. Die Gesamtzahl betroffener Taucher beträgt 35. 17 davon gelten weiterhin als vermisst oder sind gestorben. Die Dunkelziffer liegt vermutlich weit höher.

Denn über viele Fälle wird nicht berichtet. Negative Rückwirkungen auf die Tourismusindustrie werden befürchtet, weswegen der Hang zur Relativierung und zur Vertuschung schon immer groß war. Manch einer in der Branche schätzt, dass pro Jahr weltweit um die 300 Taucher verloren gehen. Verlässliche Statistiken oder Zahlen gibt es selbst nach intensiver Recherche nicht.

Als Karl Hansmann das ENOS-System Ende der 1990er Jahre konzipierte, 2004 auf den Markt brachte und ab 2005 verkaufte, war die Situation ähnlich. Meist wurden ein paar spektakuläre Fälle medial ausgeschlachtet. Vor allem, wenn es zu einem Happy End nach möglichst langer Drift kam.

Die zwei aktuellsten Fälle (Stand 12/2023) stammen aus Okinawa/Japan. Dort wurden am 6. Juni und 18. August Taucher von Strömungen erfasst und teils bis zu zwölf Kilometer weit abgetrieben. Von neun Vermissten überlebten sieben. Einer starb, ein weiterer wird vermisst.

Es gibt für diese Problematik keinen »Hotspot« auf der Erde. Bei der Recherche fiel auf, dass diese Tauchnotfälle überall auf der Welt geschehen: Australien, Mexiko, Indonesien, Japan, Karibik, Ägypten, Malaysia, Südafrika, Tansania, USA, Malediven, Philippinen, Mittelmeer, Nordsee. In jeder Region, in der viel in offenen Gewässern mit Strömung getaucht wird, können diese Dramen eintreten.

Ende der 1990er Jahre bewegte diese Art von Dramen Karl Hansmann, Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik und Informatik aus dem rheinischen Rösrath. Zwar kam er als Taucher glücklicherweise nie in so eine prekäre Lage, doch machte ihm der Gedanke Angst: »Dieses Gefühl, wenn einem das Wasser buchstäblich bis zum Hals reicht, haben mir schon viele Taucher und Freunde drastisch geschildert«, blickt Hansmann zurück. »Solche Erzählungen ließen mich schließlich nicht mehr los, nach einer technischen Lösung für dieses Problem zu suchen. Konkret wurde es, als ich von den drei Tauchern hörte, die bis zu ihrer Rettung 54 Stunden im Roten Meer getrieben sind.

»Vielleicht haben mich ihre Worte Mond und All auf GPS und Orten gebracht.«

Karl Hansmann, Erfinder von ENOS

Der Fall wurde noch eineinhalb Jahre später auf der »boot« diskutiert. Ich erinnere mich genau, wie meine damalige Lebensgefährtin, heute meine Ehefrau, auf der Rückfahrt von der Messe mit mir darüber sprach. Kopfschüttelnd äußerte sie sich darüber, wie schwer es zu akzeptieren sei, dass der Mensch bereits 1969 punktgenaue Operationen auf dem Mond durchführen konnte, aber 30 Jahre später noch nicht in der Lage ist, einen »nur« 300 Meter weit entfernten Menschen an der Wasseroberfläche zu orten.

Vielleicht haben mich ihre Worte »Mond« und »orten« auf »All« und »GPS« gebracht. Denn plötzlich hatte ich das Funktionsprinzip für die Ortung abgetriebener Taucher vor meinem geistigen Auge: zwei GPS-gestützte Teile, die zusammenarbeiten und ein eigenständiges System darstellen, mit dessen Hilfe auch in weit abgelegenen Gegenden sofort die Rettung eingeleitet werden kann.«

Gemeinsam mit seiner Frau Christiane und seinem Freund Lutz Heinen, ebenfalls Ingenieur für Elektro- und Nachrichtentechnik, machten sie sich an die Recherche, ob es ein derartiges System nicht schon gibt.Und was es braucht, um so etwas zu bauen. Was anfangs simpel klang, entpuppte sich beim näheren Betrachten der Details als sehr kompliziert.

Christiane Linkenbach und Karl Hansmann präsentieren die Produkte ihrer Firma Seareq auf der boot-Messe in Düsseldorf.

Viele größere Unternehmen lehnten die Konzepte als nicht durchführbar ab. So beschloss das Trio, dieses System selbst zu bauen und zu vermarkten. Eine große Hürde war die Frage, welche Funkfrequenzen in welchen Regionen legal genutzt werden dürfen. Denn für Ingenieur Hansmann war klar: Er wollte die Taucher nicht in die illegale Funkfrequenz-Nutzung treiben, weil das in den meisten Ländern eine Straftat ist.

Hansmann erinnert sich: »Am Anfang stand die Recherche, bei der uns die Techniker großer elektronischer Hersteller sagten, dass all das nicht geht, was wir vorhatten. Aber wir haben dennoch nicht abgelassen von unserer Idee. Und es letztlich mit unserem System und unserer Firma Seareq doch geschafft!«

So einfach die Idee ist, umso komplizierter war deren Umsetzung. Denn ENOS arbeitet inter­national auf lizenzfreien Funkfrequenzen, und das ist zu Recht streng reglementiert.

Diese Aussage hat auch 2024 zum 20-jährigen Jubiläum von ENOS und der Firma Seareq noch Bestand. Trotz eines großen Wechsels. Das herstellende Unternehmen Seareq wurde 2021 von der Firma NRC übernommen. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern weil Karl Hansmann in den Ruhestand ging und das ENOS-System und die Firma Seareq in sicheren Händen sehen wollte.

Der Sender lokalisiert seine Position per GPS-Signal. Diese Daten funkt er direkt an den Empfänger, der ebenfalls via GPS seine eigene Position bestimmt hat.

Als ENOS 2005 auf den Markt kam, fielen einige drastische Aussagen. Das hochwertige System war von Anfang an nicht günstig, und die Unternehmer fürchteten die zusätzlichen Ausgaben. 15.000 bis 20.000 Euro kostet ein ENOS-System, abhängig von der Sender-Anzahl. Also etwa so viel wie ein Kompressor.

Nicht verwunderlich, dass einige Betreiber den Nutzen von ENOS anzweifelten, indem sie die Gefahr herunterspielten mit Sätzen wie: »Gemessen an der großen Zahl Taucher im Roten Meer sind die paar Vermissten doch nur Promillewerte.« Oder: »Ich finde Euer System ja schon gut. Aber der Preis steht in keinem Verhältnis zum Nutzen.« Solche Aussagen zeigen: Nicht immer wird hintenrum so viel Wert auf Sicherheit gelegt, wie es in der Werbung versprochen wird.

Wo steht ENOS heute?

Das ENOS-Rettungssystem hat sich in 20 Jahren gut verbreitet. Der Bekanntheitsgrad unter deutschen Tauchern ist hoch. Behörden wie Wasserschutzpolizei und Zoll nutzen eine Variante für die Schifffahrt: MOBOS (Man-Over-Board-Operation-System). Bedenkt man jedoch, dass es ENOS schon so lange gibt, ist es erstaunlich, dass nicht jeder Anbieter von Bootstouren dieses nahezu »fail safe«-System hat. Da es einen sehr guten Ruf hat, eignet es sich hervorragend zu Marketingzwecken.

Eine Umfrage bei Instagram ergab, dass über die Hälfte der 220 Antwortenden das ENOS-System unbedingt an Bord haben möchte.

Monika Hofbauer, Bootseignerin in Ägypten und Besitzerin des Tauchreise-Anbieters Omneia, benutzt ENOS seit vielen Jahren auf ihren Booten. Sie sagt: »ENOS ist für viele Kunden ein Grund, unsere Tauchschiffe zu buchen. Nicht nur wegen der Sicherheit. Die Abläufe an Bord profitieren ebenfalls enorm von ENOS. Abgetriebene Taucher werden im Ernstfall sofort geortet und vom Schlauchboot abgeholt. Es kommt so erst gar nicht zu einem Notfall. Nervenaufreibende, stundenlange Suchfahrten bleiben uns so erspart. Noch nie ist bei uns ein Tauchgang ausgefallen, weil wir nach vermissten Tauchern suchen mussten.«

Es gibt auch Tagestour-Anbieter, die mit ENOS ausgerüstet sind. Mittlerweile sind es 37. Mirko Obermann von diving.de formulierte dazu treffend: »Der Strömung ist es egal, ob der Taucher vom Safarischiff oder vom Tagesboot ins Wasser springt.« Also, halten Sie Ausschau nach den richtigen Anbietern, zum Beispiel auf der NRC-Webseite www.nrc-international.com. Und machen Sie es bitte nicht wie »Jürgen«. Sondern hören Sie zu, wenn Ihnen erklärt wird, wie man ENOS anwendet.