Medizin Praxis

Der Jetlag – bis vor 60 Jahre fast unbekannt. Was Dir hilft!

Ein Reisephänomen, auf das man gern verzichten könnte. Die Sicht der Mediziner: woher kommt er und was beim Jetlag hilft.

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TEXT: Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth & Prof. PD Dr. med. Tim Piepho

Der Jetlag ist ein Phänomen des Düsenjet-Zeitalters. Er war bis vor 60 Jahren noch fast völlig unbekannt. Die Ursache eines Jetlags ist die rasche Überwindung mehrerer Zeitzonen. Die Bedingung dafür ist eine hohe Geschwindigkeit des Reisens.

Dabei gerät die innere Uhr der Reisenden durcheinander. Sie wird »desynchronisiert«. In jedem Menschen, ja eigentlich sogar in jedem höheren Lebewesen tickt nämlich eine innere Uhr. Gewisse Körperfunktionen folgen ihr. So werden bestimmte Hormone zu bestimmten Zeiten besonders stark oder vermindert freigesetzt, was jeweils Auswirkungen auf bestimmte Organsysteme hat.

Dadurch folgen viele Körperfunktionen einer sogenannten zirkadianen Rhythmik, sind also tageszeitlichen Schwankungen unterworfen. Kortison zum Beispiel dient nicht nur als Wirkstoff in bestimmten Medikamenten, sondern vor allem als wichtiges Stresshormon und wird vom Körper selbst in den Nebennieren gebildet.

Dieses Hormon wird besonders in der aktiven Zeit, also in den Tagesstunden benötigt – sodass die vermehrte Kortison-Ausschüttung in den frühen Morgenstunden beginnt, damit beim Wachwerden genügend Mengen des Hormons zur Verfügung stehen.

Im Tagesverlauf nimmt die Kortison-Produktion dann wieder ab, sodass zum Abend hin die Ruhephase beginnt. Neben diesem Beispiel gibt es viele weitere Hormone, die zu bestimmten Zeiten vermehrt oder vermindert zur Verfügung stehen.

Hormonsteuerung

Folglich ist die innere Uhr bei der Steuerung der Körperfunktionen sehr wichtig. Sie steuert zudem auch den natürlichen Schlaf-/Wachrhythmus des Individuums, der von Art zu Art unterschiedlich sein kann. Beim Menschen beträgt er im groben Durchschnitt etwa das Verhältnis von acht zu 17 Stunden.

Wie aus diesem Verhältnis ersichtlich, ist der innere Tag des Menschen also mit zirka 25 Stunden etwas länger als ein tatsächlicher Erdentag. Ähnlich einer Funkuhr muss daher auch die innere Uhr regelmäßig synchronisiert werden, um genau zu gehen.

Diese Synchronisation erfolgt im Wesentlichen über Licht: vor allem über Tageslicht und über das Hormon Melatonin, das vom Körper vor allem während der Dunkelstunden gebildet wird. Somit leitet es die Ruhephase ein.

Im gleichen Sinn behindert Licht die Melatoninausschüttung und verlängert somit die Aktivitätsphase. Licht und Melatonin regeln also die innere Uhr nach, wenn sich die äußeren Bedingungen ändern.

Richtungswechsel

Und genau dies ist bei Reisen über mehrere Zeitzonen der Fall, weil es hier zu einer Zeitverschiebung kommt. Ein solches Queren mehrerer Zeitzonen findet nur bei Reisen in Ost- oder West-Richtung statt, also in Richtung der Drehachse der Erde. Bei Reisen nach Norden oder Süden nicht.

Hierbei ist aber zu beachten, dass die meisten Fernreisen mehrere Richtungen aufweisen, also beispielsweise Flüge in die Karibik sowohl nach Westen als auch nach Süden gehen. Für die Entstehung eines Jetlags ist aber allein die Ost-West-Richtung bzw. umgekehrt ausschlaggebend.

Das Problem hier ist, die äußeren Bedingungen ändern sich rasch. Das Nachjustieren der inneren Uhr nimmt aber eine gewisse Zeit in Anspruch. Faustregel: pro 2 Zeitzonen 1 Tag Anpassung. In der Folge sind die Körperfunktionen der tatsächlichen Zeit entweder bei Flügen in Westrichtung voraus – oder hinken hinterher – bei Flügen nach Osten. Das bedeutet, man ist dann munter, wenn vor Ort Schlafenszeit ist, oder aber müde, wenn eigentlich die Aktivitätsphase beginnt.

Auswirkungen

Die Folgen sind beim Einzelnen durchaus unterschiedlich stark ausgeprägt. Jüngeren Menschen machen sie grundsätzlich weniger zu schaffen als Älteren. Es sind Schlafstörungen, Müdigkeit, Lustlosigkeit, Konzentrationsprobleme, erhöhte Infektanfälligkeit, verminderte körperliche Leistungsfähigkeit und Mattigkeit sowie Hunger, Durst und Stuhldrang zu den unmöglichsten (weil in der neuen Umgebung unpassendsten) Zeiten.

Zu dieser Symptomatik können dann noch klimatische Faktoren verstärkend beitragen – auch wenn diese ursächlich nichts mit dem Jetlag als solchem zu tun haben. Bei fehlender oder nur geringer Zeitverschiebung tritt diese Symptomatik nicht auf.

Bei Flügen nach Kenia oder Südafrika machen den Reisenden die Klimaveränderung vielleicht zu schaffen, Anpassungen der inneren Uhr sind hier jedoch kaum notwendig. Die Adaptation erfolgt daher rascher.

Gegenmaßnahmen

Was aber kann man tun, um sich auch bei größeren Zeitverschiebungen möglichst rasch »nachzujustieren«? Einer der wichtigsten äußeren Zeitgeber der inneren Uhr ist das Sonnenlicht. Daher sollte man sich bei Ankunft am Urlaubsort nicht sofort im Zimmer verkriechen, sondern sich auch dann, wenn man müde und kaputt ist, möglichst draußen im Sonnenlicht aufhalten und dabei auf Sonnenschutz achten.

Neben der Sonne als äußerem Zeitgeber fungieren auch die Mitmenschen als Synchronisations-Instrument, und zwar als ein sehr gutes: Bei der »sozialen Synchronisation« nimmt sich der eigene Körper das Verhalten der anderen quasi als Vorbild.

Das Nachjustieren wird zudem erleichtert, wenn schon einige Zeit vor der Reise begonnen wurde, die innere Uhr umzustellen: Vor einem Urlaub auf den Malediven die letzten drei Tage vor der Reise je eine Stunde früher als gewohnt ins Bett zu gehen, hilft bereits viel.

Maßnahmen gegen den Jetlag:

Vor der Abreise:
➜ Versuchen Sie im Rahmen des Möglichen, bereits einige Tage vor Abreise Ihre Schlafens- und Essenszeiten denen des Zielorts ein wenig anzupassen.
Während des Flugs:
➜ Stellen Sie beim Betreten des Flugzeugs die (Armband-) Uhr um.
➜ Versuchen Sie, bei Flügen nach Osten zu schlafen.
➜ Bei Flügen nach Westen wach bleiben.
➜ Keinen Alkohol auf der Flugreise trinken.
➜ Wenig Kaffee oder Tee trinken.
Vor Ort:
➜ Passen Sie sich sofort dem Lebensrhythmus vor Ort an.
➜ Verbringen Sie viel Zeit im Hellen (auf Sonnenschutz achten).
➜ Bleiben Sie tagsüber wach, auch wenn es schwerfällt.
➜ Machen Sie einen Tag Pause, bevor Sie mit dem Tauchen beginnen.
➜ Trinken Sie nur wenig Alkohol und wenn, nur abends.
➜ Beginnen Sie den Tag mit einem proteinreichen Frühstück.
➜ Nehmen Sie keine Schlafmittel.

Tipps zur Medikamenteneinnahme bei Zeitverschiebung:
Besonders betroffen sind Frauen, die die »Pille« nehmen. Hier gilt, dass zusätzliche Verhütungsmaßnahmen (z.B. Kondome) durchaus empfohlen sind. Gerade bei modernen Präparaten mit geringer Hormonmenge ist das Einhalten genauer Zeiten ganz wesentlich. Von der Firma Schering gibt es Broschüren (beim Frauenarzt danach fragen), die hier eine genaue Anleitung geben.
Bei allen anderen Medikamenten, die regelmäßig eingenommen werden müssen, sollten Sie sich ein paar Tage vor dem Abflug mit Ihrem Arzt beraten.
Wichtige Medikamente sollten in genügender Menge mitgenommen werden. Diese gehören ins Handgepäck!