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Haifang: Vom Jäger zum Gejagten

Mit ihrem riesigen, kettensägenartigen Revolvergebiss voll mehrreihiger, rasiermesserscharfer Zähne und Spitzengeschwindgkeiten von 60 bis 70 Kilometern pro Stunde zählten Haie über Jahrmillionen zu den Top-Prädatoren der Meere. Lange bevor es die Dinosaurier gab zogen sie ihre Bahnen. Bis eine noch viel gefährlichere Spezies den Planeten besiedelte: der Mensch. Und aus den Jägern wurden Gejagte. Ihre Flossen sind in der chinesischen Tradition eine luxuriöse, wenn auch geschmacklose Delikatesse, die als Haifischflossensuppe für rund 150 US-Dollar pro Schüssel zu besonderen Anlässen serviert, mittlerweile aber auch vom wohlhabenden Mittelstand als Luxusgut stark begehrt wird. Weltweit wird Haifischknorpel in Pulverform als vermeintliches, wissenschaftlich aber in keinster Weise belegtes Wundermittel gegen allerlei Krankheiten von Arthose bis Krebs vertrieben. Eine Entwicklung, die nicht nur zur Ausrottung der Tiere beiträgt, sondern auch uns selbst um Gesundheit und Leben bringt.


Die Haifischerei hat es auf die langen Flossen der eleganten Blauhaie abgesehen. Foto: F. Kremer-Obrock

Konservativen Schätzungen der Organisation WildAid zufolge werden um die 100 Millionen Haie jährlich weltweit gefangen. Das sind über 190 pro Minute. Tendenz steigend. Vor allem Jungtiere landen immer öfter an den Leinen. Das Problem: Da sie noch nicht zeugungsfähig sind, nimmt das Tempo, mit dem die Bestände abnehmen, rasant zu. In erster Linie werden Haie für ihre Flossen, die in asiatischen Ländern für mehrere Hundert US-Dollar pro Kilo gehandelt werden, gejagt. Ein Milliardengeschäft, das kaum kontrolliert werden kann, und das dazu geführt hat, dass allein in den letzten 100 Jahren je nach Gattung zwischen 90 und 99 Prozent der Tiere ausgerottet worden sind.

Haifleisch auf den Tellern


Finning, so nennt man die Methode, bei der Haie auf hoher See gefangen, ihnen die Flossen abgeschnitten, und die Tiere dann zum Sterben zurück ins Meer geworfen werden. Das ist so lukrativ wie praktikabel: Den billigen „Abfall“ sind die Fischer damit los, die teuren Flossen, die bis zu 200 Mal mehr Geld einbringen als das Fleisch, nehmen auf dem Schiff deutlich weniger Platz ein, als ein ganzer Körper. So können immense Mengen mit einer einzigen Fahrt kostengünstig transportiert werden. Um den Haifang noch mehr anzuregen, werden in Südamerika und vielen asiatischen Ländern sogar Delfine getötet, um ihr Fleisch als Köder an den Langleinen zu benutzen.


In Horta auf den Azoren werden Haie für den Weitertransport angelandet. Foto: F. Kremer-Obrock

In der Europäischen Union ist diese Art des Haifangs seit 2003 gesetzlich verboten. Dem haben sich auch andere Länder wie Ecuador, Malaysia, Neuseeland und die USA angeschlossen. Klingt gut, oder? Das ist aber nur die halbe Wahrheit. 2012 fügte das EU-Parlament eine verschärfte Neuregelung hinzu: Die Tiere müssen mit den Flossen am Körper angelandet werden, damit sie zweifelsfrei zugeordnet werden können. So sollen die Fischer gezwungen werden, die Körper nicht wieder ins Meer zu werfen, sondern sie komplett zu verwerten. Das deckt auf, was viele nicht wissen: Nicht nur Asien, sondern auch die vermeintlichen Verbotsländer spielen im Haigeschäft mit, und zwar im ganz großen Stil. Die Flossen werden meist für teuer Geld nach Asien exportiert, das Fleisch aber landet hierzulande, ja, auch in Deutschland, auf unseren Tellern. 
Dabei wissen viele nicht einmal, dass sie Hai essen. Unter dem Deckmantel diverser Bezeichnungen kommt es in den Handel: als Königsaal, Kalbfisch, Speckfisch, Karbonadenfisch, Seestör, Steinlachs beziehungsweise Rock Salmon, wie er im Englischen genannt wird, als Seeaal oder wohlklingende Schillerlocke. Vor allem Letztere, beides Teile des Dornhais, sind sehr populär und werden auf so gut wie jedem deutschen Wochenmarkt feilgeboten – importiert aus den USA. „Die Zahlen sind dramatisch“, so Friedericke Kremer-Obrock, die sich seit vielen Jahren für den Haischutz engagiert. „2013 waren es allein in Deutschland 295 Tonnen, was einem Lebendgewicht von 612 Tonnen entspricht. Ein Großteil des Fleisches kommt mit dem sehr umstrittenen MSC-Siegel nach Deutschland, weil deren Angaben zufolge die Dornhai-Population im Nordatlantik vor der US-Küste und Neufundland noch gesund ist.“ Noch … 
Das Ökosystem als Ganzes ist es allerdings längst nicht mehr. Sein diffiziles Gleichgewicht ist massiv gestört und droht zu kippen. Dornhaie kommen in diesen Gebieten nämlich nur deshalb verhältnismäßig häufig vor, weil der Dorsch, mit dem sich die Haie eine Stelle in der Nahrungskette teilen, in der Vergangenheit komplett überfischt wurde. An seine Stelle ist der Dornhai gerückt. „Dadurch, dass er weit oben in der Nahrungskette steht, bis zu 90 Jahre alt wird und vornehmlich alte und kranke Tiere jagt, ist sein Fleisch so stark mit Methylquecksilber verseucht, dass es eine ernste Bedrohung für die Gesundheit der Menschen darstellt“, so Kremer-Obrock. 



Friederike Kremer-Obrock engagiert sich seit Jahren für den Haischutz. Foto: F. Kremer-Obrock

Eine Portion Gift


Die Amerikaner essen dieses Fleisch aber nicht nur selbst, sondern verschachern ihre Giftschleuder sogar mit Nachhaltigkeitssiegel auch an die EU. Wie hoch die Konzentration ist, zeigt eine aktuelle Studie der Universitäten Mainz und Kiel: Eine Portion von 250 Gramm enthält 350 Milligramm des tödlichen Giftes. Das legale Maß, das von der toxikologischen Abteilung der Umweltschutzbehörde der USA (EPA) als sichere Höchstgrenze festgesetzt wurde, liegt bei 0,1 Milligramm pro Kilo Körpergewicht eines Menschen. Methylquecksilber wird 100 Mal besser vom Körper aufgenommen als normales Quecksilber und verursacht irreparable Gehirnschäden. Obendrein hat es im Gehirn und auch in der Plazenta von Frauen eine Halbwertszeit von 25 Jahren. Jedes dritte europäische Kind soll laut einer EU-Studie mittlerweile mit erhöhten Methylquecksilberwerten auf die Welt kommen. Weil aber die Gefahr totgeschwiegen wird, haben wir nach wie vor großen Appetit auf Dornhai, dürfen ihn per EU-Gesetz auch importieren, allerdings nicht selbst fangen. Wird auf hoher See aus Versehen ein Dornhai gefischt, muss er wieder lebend ins Meer geworfen werden. Selbiges gilt sogar für Haiarten, die von der „Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora“ (CITES) geschützt werden. „Das ist die reinste Farce“, so Kremer-Obrock. „Wenn Tiefseetiere aus extremer Tiefe an die Oberfläche geholt werden, haben sie gar keine Chance zu überleben, also werden sie einfach tot wieder über Bord geworfen.“


Und das ist keinesfalls die Ausnahme. Wir Europäer sind nämlich weit mehr als nur passive Mittäter. 30 Prozent der weltweit gehandelten Haiflossen stammen aus hiesigen Regionen, wobei die spanische Hafenstadt Vigo als Hauptumschlagplatz und Spanien als Ganzes laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) neben Indonesien, Taiwan und Japan zu den vier größten Exportnationen für Haiflossen gehört. Spaniens Gesamthaifang belief sich 2016 auf knapp 60 000 Tonnen. Das sind dann eben keine Dornhaie, zumindest nicht offiziell, sondern vor allem Blau- und Makohaie. „Die sind in der EU noch nicht als gefährdet gelistet, und es gibt bislang keine Quoten“, sagt Kremer-Obrock. „Was zur Folge hat, dass sie bis zum Exzess gefischt werden.“



Massenware Hai: Mit Ladekränen (oben) werden die gefrorenen Haikörper in Kühlcontainer (unten) verladen. Fotos: F. Kremer-Obrock

Besonders bedrohte Haiarten

Die Shark Specialist Group (SSG) der Weltnaturschutzunion (IUCN) führt derzeit über 1000 Hai- und Rochenarten, welche eng mit Haien verwandt sind, als stark bedroht auf. Darunter zum Beispiel folgende Haiarten:

  • Dornhai (Squalus acanthias)
  • Walhai (Rhincodon typus)
  • Weisser Hai (Carcharodon carcharias)
  • Weissspitzen-Hochseehai (Carcharhinus longimanus)
  • Heringshai (Lamna nasus)
  • Riesenhai (Cetorhinus maximus)
  • Grossflossen- oder Sandbankhai (Carcharhinus plumbeus)
  • Düsterer Hai (Carcharhinus obscurus)
  • Bogenstirn-Hammerhai (Sphyrna lewini)
  • Grosser Hammerhai (Sphyrna mokarran)
  • Glatter Hammerhai (Sphyrna zygaena)

Langleinenfischerei


Auf riesigen Fangschiffen stechen die Fischer in See, werfen Langleinen von bis zu 300 Kilometern Länge, bestückt mit mehreren Zehntausend Haken aus. Nach Norden gen Neufundland, quer durch den Golfstrom und zurück in den Süden, wo rund um die Azoren gefischt wird – die Kinderstube vieler, auch stark bedrohter Haiarten. „Zwar müssen die Fischer per Gesetz 100 Meilen Abstand zur Küste halten, aber daran halten sich natürlich nicht alle“, sagt Kremer-Obrock. „Diese 100-Meilen-Zone ist übrigens keine EU-Verordnung. Nach EU-Recht dürfen alle Mitgliedsstaaten bis auf 16 Meilen an andere Mitgliedsstaaten heran. Das ist einer der Hauptgründe, warum Island und Norwegen nicht in die EU eintreten. Sie wissen, dass ihre Fanggründe gesund sind, und das soll auch so bleiben.“ 


Geschmacklos: Haiköpfe werden als vermeintliches Reisesouvenir angeboten. Foto: F. Kremer-Obrock

Hängen die Haie erst einmal an der Leine, haben sie so gut wie keine Chance. Hochseehaie haben keine aktive Atmung, das heißt, sie sind darauf angewiesen, dass ständig Wasser durch ihre Kiemen strömt. An den Leinen ersticken sie elendig. „Das ist das Schizophrene an der Schutzpolitik der EU: Das Fischereirecht besagt, dass geschützte Arten von der Leine losgemacht und wieder zurück ins Meer gelassen werden müssen. Lebend oder tot“, so Kremer-Obrock. „Ein Hochseehai ist aber immer tot, wenn er mehrere Stunden an der Leine gehangen hat. Und das nennt man in der EU dann Artenschutz.“
Das ganze Ausmaß dieses „Artenschutzes“ hielt die Haischützerin auf erschreckenden Fotos fest, als sie 2015 undercover den Fischmarkt in Vigo besuchte, auf dem auch die Firma Propegal einkauft. In einem elfminütigen Werbevideo brüstet sich das spanische Unternehmen auf seiner Homepage offensiv, ja, sogar stolz, damit, europäischer Marktführer für Haiflossen zu sein. Tausende toter Tiere werden da auf Paletten gestapelt zur Schau gestellt. In örtlichen Supermärkten bekommt man ein Kilo Haisteak für weniger als fünf Euro. Vermarktet wird es dann europaweit aber als besonders edle Delikatesse, für die tief in die Tasche gegriffen werden muss. Die Gewinnmarge ist riesig, die Gier der Fischereiindustie scheinbar unendlich, aber die Meere sind nicht unerschöpflich. 



Hunderte Mako- und Blauhaie werden in den Fischhallen im spanischen Vigo angeboten (oben). Bis zu 300 Kilometer lange Langleinen werden Millionen von Hochseehaien zum Verhängnis (unten). Fotos: W. Koch, Aleksandra/Stock.Adobe.com

Das System Kippt


„Je höher man in der Nahrungskette ansetzt und die Tiere ausrottet, umso schneller bricht alles zusammen“, erklärt die Haischützerin. „Eine Kettenreaktion: Nimmt man die Jäger weg, vermehren sich die Gejagten. Die wiederum fressen die kleineren Fische weg. Das System kippt, alles veralgt – die sogenannte Algenblüte, die es im Mittelmeer schon gegeben hat. Am Ende sterben auch Zooplankton und Phytoplankton, es leben dann nur noch ein paar Bakterien am Grund, das ganze Ökosystem ist anaerob, also sauerstofflos, sprich tot.“ Wenn man bedenkt, dass 60 Prozent unseres Sauerstoffs im Meer vom Phytoplankton produziert werden, wird klar: Sterben die Meere, sterben auch wir. 


Text: Stefanie Ann Will

 

Diese Länder schützen Haie

• Palau: Palau war 2009 das erste Land, das seine gesamten Hoheitsgewässer zum Hai-Schutzgebiet erklärte 


• Bahamas: Der Fang von Haien sowie der Verkauf und Handel mit Haiprodukten wurde im Juli 2011 verboten


• Ägypten: Der Fang von Haien ist seit 2005 in den ägyptischen Hoheitsgewässern des Roten Meeres bis zwölf Seemeilen vor der Küste verboten. Der kommerzielle Verkauf von Haien ist ebenfalls verboten


• Fidschi: 2004 wurde das Shark Reef Marine Reserve eingerichtet. Kernpunkte sind die Erforschung und die Erhaltung lokaler Haipopulationen


• Französisch-Polynesien: 2006 wurden der Fang von Haien sowie der Handel mit Haiprodukten verboten. Ausnahme: Makohaie


• Malediven: Der Fang von Haien in jeglicher Form ist seit 2010 verboten


• Raja Ampat/Indonesien: Der Fang von Haien in jeglicher Form ist seit 2010 verboten


• Karibik: Im Juni 2016 verhängten die Regierungen der karibischen Inseln St. Maarten und der Kaiman-Inseln in ihren Hoheitsgewässern ein Fangverbot für die kommerzielle Hai-Fischerei 


• USA: In diesen Staaten ist der Besitz von Haiflossen sowie deren Verkauf und Handel verboten: Hawaii, Oregon, Washington, Kalifornien (Gesetz beschränkt sich auf importierte Flossen!), Illinois, Maryland, Delaware, New York, Massachusetts 


• Kanada: selbige Gesetze gelten auch in vielen kanadischen Provinzen und Städten wie Brantford, Oakville, Mississauga, Toronto