Aus Fehlern lernen Wissen

Höhlentauchen auf den Azoren: Was bei diesem Tauchgang alles schiefging

Ein Erfahrungsbericht vom Höhlentauchen auf Santa Maria (Azoren): Wie ein unzureichendes Briefing, starke Strömung und fehlende Erfahrung fast in einer Katastrophe endeten.

Alexander Kassler
Benjamin Schulze

TEXT: Jürgen Sievers

Wir tauchten von der Azoren-Insel Santa Maria aus mit lokalen Guides an verschiedenen Tauchspots. An einem Augustmorgen sollte es mit vier Tauchern und einem zusätzlichen Guide – der zur Verstärkung von einer Nachbarinsel eingeflogen wurde – zu einer Höhle gehen. Dort, so hieß es, werde häufig ein großer Rochen gesichtet.

Der Skipper des RIB-Boots setzte uns etwa 20 Meter vor dem betreffenden Felsen ab. Während wir zum in rund acht Metern Tiefe liegenden Eingangsbereich der Höhle hinabtauchten, war ich noch mit meiner Kamera beschäftigt. Ich wollte das Hineintauchen filmen. Im Eingangsbereich spürte ich plötzlich einen starken Rücksog. Ich hielt ihn zunächst für die Auswirkung einer einlaufenden Welle und gab »Gas«, um schnell tiefer in die Höhle zu gelangen und den Sogbereich hinter mir zu lassen. Dabei hatte ich die Vorstellung, es handele sich um eine weitläufige Höhle mit Raum zum Manövrieren.

Leider hatte ich das Briefing nicht aufmerksam genug verfolgt – und es war ohnehin eher oberflächlich ausgefallen. Diese Höhle war nämlich sehr kurz. Ich fand mich plötzlich in völliger Trübung wieder – sedimentaufgewirbelt durch die Wellen. Null Sicht. Mein Tauchcomputer piepte unaufhörlich und warnte vor einem zu schnellen Aufstieg. Ich leerte sofort meine Tarierweste, um dem ungewollten Auftrieb entgegenzuwirken.

In der Höhle wurde ich weiterhin von der Wellenwirkung hin- und hergeschoben, ohne Möglichkeit zur Kontrolle. Noch nie hatte ich mich unter Wasser so hilflos gefühlt. Zum Glück war das alles zu Beginn des Tauchgangs passiert – mein Luftvorrat war also noch gut. Ich versuchte, mit den Flossen Halt zu finden, doch es war wie in einer übergroßen Waschmaschine: rein, raus, wieder rein. Schließlich konnte ich durch weiteres Ablassen von Luft und mit etwas Glück einen der runden Steine am Boden der Höhle fixieren. Mit dem nächsten Schub der Strömung kam ich bis zum Eingang, wo einer meiner Mittaucher hinter einem Felsvorsprung kauerte. Dank seines entschlossenen Flossenschlags und einer helfenden Hand gelang es mir, die Höhle zu verlassen.

Dass ich mich nur noch krabbelnd fortbewegte und sofort in der nächsten Felsnische Schutz suchte, zeigte meinem Mittaucher, was ich gerade erlebt hatte. Die Zeit hatte sich für mich wie eine Viertelstunde angefühlt. Erst anhand des mitlaufenden Videos konnte ich später rekonstruieren: Es waren vier Minuten gewesen
Doch wo waren die anderen? In der Höhle hatte ich niemanden gesehen. Nach kurzer Wartezeit entfernten wir uns vom Felsen und setzten die Tauchboje. Auf dem Boot fiel dem Guide ein riesiger Stein vom Herzen, als er die Boje sah – er hatte bereits mit Schlimmeren gerechnet. Und das nicht ohne Grund.

Ich war tatsächlich noch am glimpflichsten davongekommen. Ein weiterer Taucher wurde beim Herausdriften aus der Höhle so unglücklich über einen Felsen geschoben, dass er eine Bleitasche verlor und durch den plötzlichen Auftrieb beinahe unkontrolliert an die Oberfläche geschossen wäre. Ein anderer stieß mit dem Kopf gegen die Höhlendecke, zog sich eine klaffende Wunde zu, und konnte wegen verrutschter und gefluteter Maske kaum noch etwas sehen. Auch er rettete sich nur mit viel Glück an die Oberfläche.

Höhlentauchen ist nur mit spezieller Ausbildung erlaubt. Der Zugang zu tiefen Höhlen, die keinen direkten Aufstieg gestatten (Cave Dives), erfordert eine anerkannte Höhlentauch-Zertifizierung (zum  Beispiel den »Cave Diver« nach TDI, IANTD oder GUE).

Der Guide konnte sich im Eingangsbereich der Höhle festhalten und beobachtete anhand des Lichtkegels meiner eingeschaltete Lampe, wie ich im Inneren der Höhle hin- und hergeschleudert wurde. Er versuchte, mir entgegenzuschwimmen und mich zu erreichen – wovon ich allerdings nichts mitbekam. Auf dem später gesichteten Video konnte ich nachvollziehen, dass er dabei gegen die Decke der Höhle stieß, sich ebenfalls eine Kopfverletzung zuzog und gleichzeitig der Faltenschlauch seiner Weste am Ventil abbrach, sodass er rapide an Auftrieb verlor. Auch er konnte sich nur mit knapper Not aus der Höhle retten.

Dass auf dem Rückweg zum Hafen auch noch das GPS an Bord ausfiel und wir in einen heftigen Regenschauer gerieten, der die Sicht massiv einschränkte, passte zu diesem Tag. Nur mit einem Tauchkompass und in großem Bogen um bekannte Felsen und Untiefen herum erreichten wir schließlich den Hafen.

Die Verletzten wurden medizinisch versorgt – zum Glück keine Gehirnerschütterungen, aber mehrere klaffende Platzwunden, die genäht werden mussten. Nie zuvor hat mir das Abendessen bei Sonnenuntergang – und der anschließende Macieira – so gut geschmeckt.

Ein anderer einheimischer Guide erzählte uns später, dass er vor Jahren für die portugiesische Marine drei tote Marinesoldaten aus genau dieser Höhle geborgen hatte.

Anmerkung der Redaktion:
Für den Berichtenden fühlte es sich nach einer Höhle an, eventuell wurde es auch so gebrieft (das wissen wir nicht). Im Tauchsport wird jedoch zwischen Höhlen (caves) und Grotten (caverns) unterschieden. Hier handelte es sich um einen Tauchgang in einer Grotte
(Definition siehe unten).
(Dieser Abschnitt wurde nachträglich ergänzt)

Fehleranalyse:

Glück gehabt! Doch genau darauf darf man sich beim Tauchen nicht verlassen. Die Hauptverantwortung liegt klar beim Guide und der Basis. Die Basis sollte die Fähigkeiten ihrer Gäste mit einem Check-Dive o.ä. abgeprüft haben. Der Guide muss die Gefahrenpotenziale erkennen, Briefings angemessen gestalten und im Zweifel einen Tauchgang umplanen oder ganz absagen. Auch sollte er die Qualifizierungen seiner Mittaucher kennen und einschätzen können. Tauchkunden, deren Fähigkeiten er nicht kennt, in eine Höhle zu führen, ist grob fahrlässig. Hier fehlte offenbar die Erfahrung. Auch mangelte es daran die Wellen- und Strömungsverhältnisse korrekt einzuschätzen.

Unser Leser, der diesen Vorfall schilderte, traf insgesamt nur wenige Fehlentscheidungen. Dennoch gilt: Ein Briefing – insbesondere vor einem Höhlentauchgang – nur halbherzig zu verfolgen, ist riskant. Auch das Filmen in einem felsigen Bereich mit starker Brandung nahe unter der Wasseroberfläche ist nicht ohne: Wer den Blick auf das Kameradisplay richtet, verliert leicht die Umgebung aus den Augen. In dynamischen Bedingungen wie diesen kann man schnell die Orientierung verlieren – und damit ungewollt in eine gefährliche Lage geraten.

Was kann man tun, wenn man in einen Strömungs- oder Brandungssog gerät? Die wichtigste Regel: Die Gefahrenzone verlassen. Falls nötig, durch Bodenkontakt und aktives Festhalten – genau das hat hier vermutlich Schlimmeres verhindert.
Kritisch wird es, wenn der Auftrieb einen unkontrolliert an die Oberfläche bringt – besonders in Höhlen oder an Felsen. Daher: Tarierung anpassen, Luft gezielt ablassen, und in sicherer Tiefe die Lage stabilisieren.
Der Ausfall des GPS mag technisches Pech gewesen sein – doch das Gesamtbild spricht für mangelnde Professionalität des Divecenters.

INFO HÖHLENTAUCHEN

© Shutterstock – Tauchgänge tief in das Innere einer Höhle erfordern das richtige Training und eine zuverlässige Ausrüstung.

Höhlentauchen zählt zu den technisch anspruchsvollsten und risikoreichsten Disziplinen im Tauchsport. Der Zugang zu sogenannten »Overhead Environments« – also Tauchbereichen, in denen ein direkter Aufstieg zur Wasseroberfläche durch Fels, Strukturen oder Wrackteile versperrt ist – ist ausschließlich speziell ausgebildeten Höhlentaucherinnen und -tauchern gestattet.

Typische »Overhead Environments« sind:
– vollständig geschlossene Höhlen
– enge Grottensysteme
– Das Wrackinnere unter Wasser jeglicher Art
– Tauchgänge unter Eis

In diesen Umgebungen ist im Notfall kein sofortiger Notaufstieg möglich, was sie besonders anspruchsvoll und gefährlich macht.
Erforderlich sind eine international anerkannte Höhlentauch-Zertifizierung (z. B. TDI Cave Diver, IANTD Full Cave, GUE Cave),
redundante Ausrüstung (mindestens zwei unabhängige Atemgasversorgungen, uvm.), fortgeschrittene Fähigkeiten in Tarierung, Navigation und Gasmanagement und eine Führungsleine (Guideline) sowie vollständige Lichtausstattung.

Cavern vs. Cave – Wo verläuft die Grenze?

Grotten oder sogenannte »Caverns« dürfen von Sporttauchern nur unter klar definierten Bedingungen betaucht werden:
– Die Sichtverbindung zum Tageslicht muss jederzeit bestehen
– Der maximale Abstand zum Eingang darf 40 Meter nicht überschreiten (nach Definition von TDI und anderen)
– Es darf keine vollständige Dunkelheit oder enge Durchgänge geben
– Der direkte Zugang zur Oberfläche muss jederzeit möglich sein

Alles, was darüber hinausgeht, gilt als Höhlentauchen (Cave Diving) und ist nur mit Spezialausbildung erlaubt.

Gesetzeslage: international uneinheitlich

Die rechtliche Regelung für Höhlentauchgänge ist von Land zu Land unterschiedlich. In vielen Ländern gibt es keine gesetzlich verbindlichen Vorschriften, sondern es wird auf die Verantwortung der Tauchbasen und der Taucherinnen und Taucher selbst gesetzt.

Beispiele:
Frankreich und Spanien: Streng reglementierte Höhlensysteme, teils mit Zugangsbeschränkungen oder Genehmigungspflicht.
Italien: Einige Höhlen nur mit lokaler Genehmigung und registrierter Begleitung betauchbar.
Portugal (inkl. Azoren): Keine flächendeckende Regulierung, Verantwortung liegt bei den Guides und Veranstaltern.
USA (z. B. Florida): Viele zugängliche Höhlensysteme, aber Hausregeln der Parks und Ausbildungsnachweis erforderlich.
Deutschland/Österreich/Schweiz: Höhlentauchen ist erlaubt, aber oft nur mit Genehmigung oder unter Auflagen – etwa Schutzgebiete, Wasserschutzgesetze, Denkmalpflege.

Wichtig:
Wer in einem unbekannten Höhlensystem tauchen möchte, sollte sich vorher bei der lokalen Tauchbasis oder Behörde über rechtliche Anforderungen, Zugangsbeschränkungen und Sicherheitsrichtlinien informieren.

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