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Immunsystem und Deko-Krankheit: Warum trotz korrekten Tauchens Symptome entstehen können

Moderne Tauchcomputer berechnen exakte Dekompressionsdaten, doch sie berücksichtigen einen entscheidenden Faktor nicht: das individuelle Immunsystem. Erfahre, wie körpereigene Entzündungsreaktionen und das sogenannte Komplementsystem beim Dekounfall mitspielen.

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TEXT: Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth & Prof. PD Dr. med. Tim Piepho |

Moderne Tauchcomputer und die Realität
Tauchen gilt heute als sicherer Sport – vor allem dank präziser Tauchcomputer. Sie berechnen mithilfe ausgefeilter Algorithmen mutmaßlich exakt, wie viel Stickstoff der Körper während eines Tauchgangs theoretisch aufnimmt und wie ein sicheres Auftauchen möglich ist. Wer sich daran hält, sollte eigentlich vor einem Dekompressionsunfall geschützt sein – oder?

Die Realität ist komplexer. Trotz regelkonformen Tauchverhaltens kommt es immer wieder zu Symptomen der Dekompressionskrankheit – auch bekannt als DCS (Decompression Sickness). Woran liegt das?

Tauchunfall trotz Einhaltung aller Regeln?

Im Tauchurlaub begegnet man immer wieder einem Phänomen: Manche Taucher ignorieren sämtliche Dekompressionsregeln oder reizen ihre Computer maximal aus und bleiben beschwerdefrei. Andere halten sich streng an konservative Profile – und erleiden dennoch einen dekompressionsbedingten Zwischenfall.
Studien zeigen, dass Gasblasen im Blut fast bei jedem Tauchgang entstehen. Ihre Menge – die sogenannte Blasenlast – lässt sich per Doppler-Ultraschall nachweisen. Doch nicht allein die Blasenmenge entscheidet über die Gesundheit nach dem Tauchen, sondern auch die Reaktion des Körpers auf diese Blasen.

Das eigene Immunsystem als Risikofaktor beim Tauchen

Der entscheidende Punkt liegt im Immunsystem des Menschen. Es gibt Menschen, deren Körper besonders empfindlich auf Gasblasen reagiert – selbst bei geringer Blasenlast.
Ein zentrales Element dabei ist das sogenannte Komplementsystem. Es handelt sich um einen Teil des angeborenen Immunsystems, der Fremdkörper wie Bakterien oder eben auch Gasblasen markiert. Das kann eine Immunreaktion mit Entzündungscharakter auslösen – in manchen Fällen heftig genug, um Symptome einer Dekompressionskrankheit zu verursachen.

Das Immunsystem in Aktion: Makrophagen, dendritische Zellen und weiße Blutkörperchen erkennen und bekämpfen eindringende Bakterien und Krankheitserreger.

Wie das Komplementsystem Tauchunfälle beeinflusst

Wenn das Komplementsystem überempfindlich reagiert, reichen kleinste Gasblasen, um eine Kaskade biologischer Reaktionen auszulösen. Dabei werden Immunzellen wie Mastzellen und Leukozyten aktiviert. Sie setzen entzündungsfördernde Stoffe frei, die zu:
– Gefäßverengung
– Gewebeschädigungen
– Gerinnungsstörungen
führen können. Die Folge: klassische Dekompressionssymptome wie Gelenkschmerzen, Hautausschläge, Taubheitsgefühle oder sogar neurologische Ausfälle – trotz korrekter Tauchgangsplanung und -durchführung.

Lässt sich das Risiko testen?

Leider nein. Eine medizinisch standardisierte Diagnostik, um die individuelle Empfindlichkeit gegenüber Gasblasen zu bestimmen, existiert bislang nicht. Der Zustand des Immunsystems – insbesondere des Komplementsystems – lässt sich im Alltag nicht zuverlässig überprüfen.

Fazit: Konservatives Tauchen schützt am besten

Moderne Tauchcomputer liefern sehr gute Richtwerte, doch sie berücksichtigen keine individuellen Risikofaktoren wie unter anderem das Immunsystem. Deshalb gilt: Tauche konservativ – auch wenn der Computer grün zeigt. Wer zusätzliche Sicherheit anstrebt, sollte bewusst lange Sicherheitsstopps einplanen, ausreichend trinken (nicht nur am Tauchtag, sondern schon davor und danach), auf intensive körperliche Aktivität nach dem Tauchen verzichten und persönliche Belastungsgrenzen nie ausreizen. Denn nicht nur Gasblasen, sondern auch deine eigene Immunantwort kann über einen Dekounfall entscheiden.

Weitere Faktoren, die das Dekompressionsrisiko fördern findest du in diesem Beitrag.