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»Wir sind mehr als nur Bikinimodels«

No-Limits und Olympia: kein Limit für die Inhaberin aller fünf deutschen Apnoe-Tieftauch-Rekorde.

 

Effektivität scheint gut zu Jennifer Wendlands Lebensweise zu passen. Für das Interview hatte sie ein innogy-Gastronomie-geführtes Deli-Cafe vorgeschlagen. Innogy – seit Anfang des Jahres arbeitet sie dort – betreibt Verteilnetze,vertreibtEnergie und erzeugt elektrischen Strom aus erneuerbaren Energien. Erneuerbar: das ist Zukunftsgerichtet. Und Energie: noch ein Begriff, der gut zu ihr passt. 
Jochen Schipke führte mit Jennifer ein langes Gespräch, obwohl sie eigentlich keine Zeit dafür hatte. Sie hat ein paar Tage später geheiratet.

Seit dem 8. August 2018 hältst Du mit 105 m den deutschen Rekord in der Disziplin variables Gewicht (VWT), und seit dem 9. Oktober 2018 hältst Du auch den Rekord in no limit (NLT). Inzwischen Hältst Du alle fünf deutschen Apnoe-Tieftauchrekorde. Ganz herzlichen Glückwunsch. Was befähigt Dich zu solchen Rekorden?

Ich unterscheide mich äußerlich eigentlich nicht sehr von den anderen Athletinnen. Ich bin Anfang 30, 172 cm groß und relativ schlank. Vielleicht bin ich damit physiologisch absoluter Durchschnitt. Es gibt aber aus meiner Sicht kein eindeutiges Muster für Spitzenathleten im Apnoesport. Von klein und zierlich bis groß und muskulös ist alles dabei.

Sind Apnoesportler Einzelgänger?

Ganz bestimmt nicht. Ich pflege gute Kontakte zu anderen Apnoeistinnen. So bin ich u.a.  gut mit Dagmar Andres-Brümmer befreundet. Einzelgängertum wäre übrigens überhaupt nicht sinnvoll. Wir sind darauf angewiesen, miteinander zu reden. Wir müssen Erfahrungen aus­tauschen und Informationen weiter geben.                

Treibst Du andere Sportarten?

Ja, natürlich. Ich trainiere Kraft und Ausdauer. Ich verwende aber auch viel Zeit darauf, meine Flexibilität zu verbesser

Was muss ich mir darunter vorstellen?

Diese Trainingsform enthält einige Yoga-Elemente. Flexible Muskeln und Gelenke unter­stützen die richtige Körperhaltung und die richtige Ausführung von Trainingsübungen.

Du bist wie ein neuer Stern am Apnoe-Himmel aufgestiegen. Wie und wann begann dieser Höhenflug?

Mein Masterstudiengang – das war damals ’Internationale Beziehungen und Entwicklungspolitik’ – ließ mir Zeit für Hobbies. Angefangen hat das Ganze 2011/12 mit einem Anfängerkurs bei AIDA und Unterwasserrugby. Tieftauchen begann dann etwa vor 3 ½ Jahren. Tieftauchen ist einfach schön. Wann immer es sich in der Freizeit ergibt, ist Apnoetauchen entspannend. Egal, ob im See oder im Meer.

Man glaubt Deinen letzten Satz sofort, sieht man sich Deine Rekorde an. Du hältst deutsche Rekorde in fünf von fünf Tieftauch-Disziplinen und hast bei Weltmeisterschaften zwei Medaillen im Tieftauchen gewonnen. Nun ist langes Luftanhalten eigentlich nichts Attraktives. Warum quälen sich Menschen so?

Wasser war für mich schon immer etwas Schönes. Der Aufenthalt im und unter Wasser ist schön, und Luftanhalten stellt für mich keine Qual dar. Tieftauchen ist für mich keine Bedrohung sondern vielmehr eine Art Entdeckungsreise.

Marco Nones, mein Trainer vom Only One Apnea Center in Sharm El Sheikh, hat eine wunderbare Trainingsphilosophie: Focus and have fun! Tauchen muss immer Spaß machen. Käme ich aus diesem Bereich heraus, könnte ich das intensive Training nicht durchstehen.

ndete im Blackout. Zu viele Stressfaktoren waren zusammen­gekommen. Hoffentlich nie wieder.

 

Ich will Dich ein bisschen provozieren. Wenn ich bei einer längeren Apnoe in die struggle phase komme und sich mein Zwerchfell hebt und senkt wie der Kolben in einem Zylinder, dann ist für mich der Spaß vorbei.  

Deswegen bin ich tatsächlich nur bedingt eine Freundin der Pool-Disziplinen mit ihren relativ langen Apnoedauern. Bei meinen Tieftauch-Rekorden habe ich vereinzelt auch Kontraktionen des Zwerchfells, die ich aber entweder nicht wahrnehme, oder die ich noch gut ertragen kann.

Ich provoziere weiter. Mit einem Zitat von Tim Winton, dem Autor von ‘Breath’ (2013): Whatever their age or skill level, free divers are adrenaline junkies.

Das ist absolut falsch. Adrenalin treibt den Sauerstoff-Verbrauch in die Höhe. Damit wird jede Höchstleistung unmöglich. Apnoeisten suchen keinen Adrenalin-Stoß sondern Ruhe und Entspannung.

Es gab immer wieder hässliche Unfälle bei den No-limits. Was machst Du besser?

Zunächst tauche ich in No-Limits nur so tief, dass ich ohne Hilfsmittel sicher wieder nach oben komme. Das Versagen meiner Aufstiegshilfe würde mich also nicht ernsthaft gefährden. Letztlich ist es auch immer eine Sache, wie man das Training gestaltet. Ich steigere meine Tiefen, besonders nach längeren Trainingspause, nur langsam. So haben mein Kopf und mein Körper genug Zeit, sich an die Tiefe anzupassen. Es kommt kein Stress auf. Und im Wettkampf oder bei Rekordversuchen sage ich keine Tiefen an, die ich vorher nicht schon erreicht hatte.

Innerhalb Deiner beruflichen Laufbahn hattest Du mit Controlling zu tun. Gibt es Schnittmengen mit Apnoe?

Controlling hat immer mit Planung und Risikoabschätzung zu tun. Ich habe eine ganze Reihe von Parallelen zwischen diesem Zweig der Wirtschaftslehre und dem Apnoe­tauchen entdeckt. In beiden Bereichen geht es immer wieder um das Abschätzen von Risiken. Sind die Risiken zu hoch oder inicht kontrollierbar, dann muss ein Projekt angepasst werden, dann muss ein Tauchgang verschoben werden.

Jennifer fährt fort: Andererseits hat mir das Tieftauchen Strategien gelehrt, um auch an der Oberfläche mit Angst oder Stress umzugehen und entspannter zu bleiben.

Gab es trotz Deiner strikten Planungen Zwischenfälle bei Apnoe-Tauchgängen?

Bluthusten durch lung squeeze hatte ich noch nie, aber einmal bei einem Wettkampf einen blackout.

Was ist passiert?

Eine unglückliche Verkettung von störenden Ereignissen. Meine eigenen Tauchgänge sind so geplant, daß ich mit zwei oder drei Störungen zurecht komme. In diesem Fall wurden es mehr. Mein Wettkampf-Vorgänger wurde kurz vor dem Austauchen ohnmächtig , und es dauerte ungewöhnlich lange, bis er zu sich kam. Dann wurde der Wettkampf für längere Zeit unterbrochen, während ich schon in der Vorbereitung für meinen Tauchgang war und langsam zu frieren anfing. Das war weder beruhigend noch entspannend. Die Serie von Störungen war aber noch nicht zu Ende. Nach Erreichen meiner Tauchtiefe wendete ich. Dabei verhedderte sich mein Lanyard und wickelte sich um einen Unterschenkel. Um vernünftige Beinschläge machen zu können, musste ich meinen Unterschenkel frei bekommen. Das kostete Zeit und Sauerstoff. Schließlich stieß ich kurz unterhalb der Ober­fläche gegen das Gegengewichtssystem, welches sich normalerweise oberhalb der Wasser­oberfläche befindet. Ich blieb in Höhe meiner Taille in dem Moment an diesem System hängen, in dem ich meinen ersten Atemzug nehmen wollte. Dieser Atemzug erfolgte daher unter Wasser und das e

Hat Dir kein Sicherungstaucher helfen können?

Doch. Sie waren natürlich sofort zur Stelle, da sie jeden einzelnen Apnoeisten beim Ab- und beim Auftauchen begleiten müssen.

Eine Frage zur Sicherungstechnik. Kannst Du mir etwas über UW-Drohnen sagen?

Bei den Weltmeisterschaften in Honduras wurde das diveeye eingesetzt. Es läuft parallel zum eigenen Führungsseil in die Tiefe und macht exzellente Videoaufnahmen, die zeitgleich an der Oberfläche gesehen werden. Im Notfall kann dadurch die notwendige Hilfe rasch und zielgerichtet organisiert werden. Die Videos lassen sich aber auch hervorragend zur Analyse der eigenen Technik verwenden.

Du hast in 2016 und 2017 zwei bis dreimal an nationalen und internationalen Wettkämpfen teilgenommen. Du hältst Dich außerdem mehrmals im Jahr bis zu drei Wochen zum Training in Ägypten auf. Wie lassen sich Sport und Beruf vereinen?

Es kommt zusammen, dass ich bei innogy eine 70% Stelle und dort eine verständnisvolle Chefin habe, die mir alle Flexibilität für mein Training und meine Wettkämpfe ermöglicht. Wegen der gekürzten Stelle ist natür­lich auch das Gehalt gekürzt. Das ist für mich ein Problem, denn das Training und die Teilnahme an Wettkämpfen kosten Geld. Ich muss also auf einige Wett­kämpfe und damit auch auf zusätzliche Routine und mögliche Rekorde verzichten.

Wie sieht es mit Sponsoren aus?

Für Sponsoren ist Apnoetauchen ein Actionsport und damit ein Männersport. Weibliche Athleten werden eher als Bikinimodell betrachtet, das etwas länger die Luft anhalten kann. Außerdem wollen die Sponsoren natürlich immer neue Höchstleistungen vermarkten können. Dadurch kann gefährlicher Leistungsdruck entstehen.

Könnte das diveeye das Sponsoren-Interesse erhöhen?

Ja, ganz sicher. Bisher gab es nur wenige Personen, die als Zuschauer in Frage kamen. Die Bilder von diveeye haben 4k-Qualität und können problemlos ins Fernsehen übertragen werden. Die ganze Welt könnte Zuschauer werden.

Ich komme noch einmal auf das Training und auf Wettkampfvorbereitungen zurück. In Deutschland lassen sich geeignete Trainingstiefen nur schwer finden?

Das ist richtig. Zum Hemmoor würde ich 4 h benötigen. Außerdem habe ich dort auch nicht die richtigen Tiefen. Und der Bodensee ist über 600 km ent­fernt. Mein Training findet daher in großem Umfang im Trockenen statt. Dazu gehören gezielte Atemübungen, das bereits genannte Flexibilitätstraining und Freitauch-spezifisches Training im Fitnessstudio oder beim Schwimmen. Zum gesunden Lebensstil gehört natürlich auch eine bewusste Ernährung. 

… und welche Techniken unmittelbar vor dem Wettkampf? Was ist mit hyperventilieren oder lung packing?

Ich mache beides nicht.   

Du hast einmal gesagt, dass Apnoe nicht gefährlich ist, Ich kenne die wissenschaftliche Literatur recht gut und bin anderer Meinung.

Ich habe aber auch gesagt: “Wenn man weiß, was man tut“. Und ich tue nichts, wenn ich die Risiken nicht kenne und mit ihnen richtig umgehen kann.

Mit ’gefährlich’ meine ich auch gesundheitliche Schäden. Durch die Submersion und den Umgebungsdruck verursachte Veränderungen der Lunge oder durch den Sauerstoffmangel verursachte Schädigungen von Gehirnzellen sind in der Fachliteratur gut dokumentiert. Allerdings gibt es nur wenige Untersuchungen zu Langzeitschäden. Im eigenen Interesse stimme ich den Ärzten zu, wenn sie sagen, die tauchsportärztliche Untersuchung sollte jährlich und dann sogar mit Spirometrie und Spiroergometrie durchgeführt werden. Nach dieser Untersuchung kenne ich meine Blutwerte, meinen Blutdruck, meine Lungenwerte, meine körperliche Leistungsfähigkeit. Und ich sehe vielleicht über die Jahre Veränderungen und kann darauf reagieren. Zusätzlich wäre es sicher gut, wenn besser erforscht wäre, was während eines Tauchganges tatsächlich passiert, wie der Körper auf den hohen Umgebungsdruck und der Sauerstoffmangel im Detail reagiert.

Lass uns langsam zum Ende kommen. Welche apnoeischen Pläne hat der shooting star?  

Ein ferneres Ziel heißt Paris. Frau Arzhanova – die CMAS-Präsidentin – kämpft seit einiger Zeit dafür, Apnoe-Tauchen zur olympischen Disziplin zu machen. Das könnte im Apnoe-begeisterten Frankreich durchaus erfolgreich sein. Es wäre die Erfüllung eines Traumes, könnte ich 2024 dabei sein.

 

Rekorde von Jennifer Wendland …

Disziplin

Tiefe

Jahr

 

constant weight no fins   (CNF)

57 m

2017

 

constant weight              (CWT)

82 m

2017

 

free immersion               (FIM)

82 m

2017

 

variable weight               (VWT)

105 m

2018

 

no limits                           (NLT)

117

2018

 

Jennifer Wendland Jahrgang 1985 …

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