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Ursprünglich & facettenreich – der Mythos Selayar

Steilwandtauchen vom Feinsten in einer der abgelegensten Regionen von Sulawesi. Traumhaft schön und gern auch mal etwas tiefer. Unsere Autoren sind dem »Mythos Selayar« auf den Grund gegangen.

Wolfgang Pölzer

TEXT: Barbara & Wolfgang Pölzer

Man stelle sich vor: Tauchen wie früher – ganz ohne geschulmeistert und bevormundet zu werden. Selbst jenseits der 30-Meter-Todeszone. Und das Ganze mit Luft! Kein Feldversuch für ewig Gestrige, sondern gelebte Praxis auf einem der schönsten Flecken am Ende der Welt. Im Herzen von Indonesien, dort, wo sich die südlichste Insel von Sulawesi der Form nach wie eine Kompassnadel gegen Süden streckt. Dort, fast an der Spitze der Nadel, mit freiem Blick nach Osten, hat ein Franke aus Nürnberg vor einem Vierteljahrhundert sein Paradies gefunden. Weitab von Massentourismus und Mitbewerbern, aber auch von Infrastruktur, Dekokammer und Mischgas erreichen wir nach zugegeben etwas langwieriger Anreise spätnachmittags einen etwa einen Kilometer langen Traumstrand vor dichtem Regenwald.

Jochen Schultheis, jener besagte Franke und in der Tauchszene weitbekannte Frohnatur, begrüßt uns herzlich am eigenen Steg. Es folgen Willkommensdrink, Briefing und die Erledigung der üblichen Formalitäten im rustikal gemütlichen Restaurant. Und dann wartet auch schon ein leckeres Drei-Gänge-Menü auf uns. Man erkennt schnell: Exzellentes Essen hat für Jochen den gleichen Stellenwert wie exzellentes Tauchen.

Hausriff-Check

Am folgenden Morgen geht es zum gemütlichen Eingewöhnungstauchgang an das Hausriff, das sich als wunderschön bewachsene Steilwand vor dem gesamten Resortgelände erstreckt. Freudige Überraschung: Wir tauchen mit Guide Irvi, den wir bereits aus dem rund 1000 Kilometer entfernten Nordsulawesi von vergangenen Reisen her kennen. Er führt uns zu intakten Steinkorallen, riesigen Schwämme, bunten Gorgonien und Fisch, soweit das Auge reicht. Vor allem die kaum fingerlangen Baby-Rotzahn-Drückerfische tummeln sich hier, wie wir es noch nie zuvor gesehen haben. Daneben wuseln Schwärme von Füsilieren, Süßlippen sowie Fahnen- und andere kleine Riffbarsche in den unterschiedlichsten Farben. Makrospezialist Irvi spürt diverse Schnecken, Grundeln, Orang-Utan-Krabben und einen pinkfarbenen Schaukelfisch für uns auf. Dann ist der Checkdive am Hausriff beendet. Und zu unserer vollsten Zufriedenheit bestanden.

Tiefere Einsichten

Richtig zur Sache geht’s dann am späteren Nachmittag mit Jochen. Seine Spezialität sind geführte Tauchgänge auch mal jenseits der Sporttauchgrenze. Natürlich nicht mit jedem, und immer unter Einhaltung höchstmöglicher Sicherheitsvorkehrungen. So gibt es nur zwei Bootsausfahrten pro Tag, und immer mit einer Oberflächenpause von mindestens fünf Stunden dazwischen. Dadurch lässt sich die Stickstoffbelastung im Taucherorganismus reduzieren. Und als positiver Nebeneffekt bleibt so genügend Zeit, um Bungalow, Strand und Privatsphäre zu genießen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Niemand muss hier tief tauchen und kann auch vor, nach oder zwischen den Bootsausfahrten zusätzlich jederzeit ans Hausriff gehen. Auch Solotauchen ist vom Steg aus für entsprechend brevetierte Taucher möglich. Mit 200 PS brauchen wir keine fünf Minuten per Boot zu Jochens Lieblingsplatz, dem »Shark Point«.

Ein vielversprechender Name. Dann heißt es Rolle rückwärts, abtauchen, auf drei Meter Tiefe versammeln. Erst wenn alles passt, Ausrüstung und Luftvorrat nochmals gecheckt sind, und sich jeder wohlfühlt, schwenkt Jochen den Daumen nach unten. Vorbei geht‘s zunächst an einer riesigen Schule Black Snapper. Über einem interessant aussehenden Überhang lassen wir uns entlang der Steilwand in die Tiefe fallen. Fahnenbarsche, Füsiliere, Doktorfische und die allgegenwärtigen Rotzahn-Drücker sowie jedes andere Fotomotiv wird völlig ausgeblendet. Heute ist nicht der Weg das Ziel, sondern das Ziel gibt Jochen vor. Im dichten Formationsflug gleiten wir gemeinsam dem lockenden Dunkelblau entgegen.

Im 30-Meter-Bereich durchbrechen wir die Sprungschicht und geraten plötzlich von warmen 30 in erfrischende 27 Grad Celsius Wassertemperatur. Gleichzeitig klart die Sicht deutlich auf und gibt den Blick auf ein schmales Plateau noch immer weit unter uns frei. Höchste Zeit, nicht die Fallschirme zu zünden, sondern gehörig Luft in unsere Jackets zu blasen, um knapp über der Sandstufe austariert zum Stillstand zu kommen. Gerade rechtzeitig, um nicht zwei riesige Stachelrochen aufzuschrecken, die es sich auf dem Absatz bequem gemacht haben. Völlig ungestört durchpflügen sie den Sandgrund nach Fressbarem, bevor sie wieder in der Tiefe verschwinden.

Die Vorstellung beginnt!

Wie in einer riesigen Theaterloge lassen wir unsere Blicke mal hinaus ins Freiwasser und mal die Steilwand hinab folgen. Nicht nur wegen der Aussicht hat Jochen diesen Platz gewählt. Hier, komplett im Strömungsschatten, können wir entspannt die wenigen Minuten Nullzeit verbringen und haben zugleich die Chance auf ganz großes Kino. Nur wenige Meter vor uns kachelt es nämlich gehörig. Das zieht nicht nur jede Menge Planktonfresser an, sondern auch ihre räuberischen Jäger. Eine Schule Rainbow Runner, auch als Regenbogenmakrelen bekannt, schießt vor uns vorüber. Und im Hintergrund sind die Silhouetten von mehreren Haien auszumachen!

Als Jochen anfängt, an seiner mitgebrachten Plastikflasche lautstark zu reiben, kommen die eleganten Jäger näher. Ein wuchtiger Grauer Riffhai und mehrere nur wenig kleinere Weißspitzen-Riffhaie schwimmen neugierig herbei, stellen jedoch schnell fest, dass wir nichts Fressbares für sie dabei haben. Eine stattliche Weißspitze will ganz auf Nummer sicher gehen und kommt sogar bis auf Armeslänge heran.

Wir genießen das Schauspiel und checken zwischendurch regelmäßig Tauchcomputer, Luftvorrat und Buddy. Auf ein Zeichen von Jochen verlassen wir unsere sichere Sandloge und paddeln wenige Flossenschläge hinaus ins Freiwasser. Sofort nimmt uns die Strömung auf, und der zweite Akt der Vorstellung kann beginnen. Ganz langsam höher steigend treibt uns ein unsichtbarer Fluss zunehmend schneller am Riff entlang. Fast wie ein Fisch unter Fischen gleiten wir durchs Wasser, versuchen in alle Richtungen gleichzeitig zu blicken, werden von einer hektisch wirkenden Schule von Stachelmakrelen kurz aufgenommen.

Der Steilhang ist hier gespickt mit Fächergorgonien, Tonnenschwämmen und Korallenansammlungen. Die Strömung legt noch einen Zahn zu, treibt uns um eine Korallennase und erlischt plötzlich vollständig. Wieder zurück im Warmwasser in mittlerer Tiefe, müssen wir unsere Flossen wieder selbst bewegen. Aber nur ein paar Meter. Denn dann erfasst uns eine moderatere Strömung und schiebt uns über das Riffdach im Zehn-Meter-Bereich. Fledermausfische, Schnapperschwärme, Schildkröten und sogar eine Seeschlange lassen uns so gemütlich und langsam auftauchen, dass unsere Computer schon wieder frei sind, bevor wir noch einen extra langen Sicherheitsstopp anhängen.

Plauderei aus dem Nähkästchen

Zurück im Resort, unterhalten wir uns mit Jochen über seine Anfangszeit hier am südlichsten Zipfel von Sulawesi. »Mit einfachsten Mitteln wie einem kleinen Kompressor und vier Aluflaschen war ich auf der Suche nach einem tollen Tauchgebiet«, plaudert er aus dem Nähkästchen längst vergangener Jahre. »Nach etlichen Fehlschlägen mit vielen durch Dynamitfischerei zerbombten Riffen habe ich schließlich diese Steilwand hier vor meinem jetzigen Steg gefunden. Durch puren Zufall! Überall im Umkreis, wo ich hineingesprungen bin, war alles voller Fisch und intakter Korallen.«

Den Wert seiner Entdeckung erkannte Jochen sofort. Und setzte sich von Anfang an vehement für den Riff- und Naturschutz ein. Eine Reihe gerammter Fischerboote, die ein bereits 2002 durchgesetztes Schutzgebiet der lokalen Regierung einfach nicht beachten wollten, zeugen von seiner Durchsetzungskraft und haben dem rührigen Franken sogar einen Beitrag in der deutschen BILD-Zeitung beschert. Etwa zehn Kilometer der Riffe rund ums Resort sind nach wie vor streng geschützt und werden vielleicht doch in absehbarer Zukunft mal Teil einer größeren, schon lange angestrebten MPA – Marine Potected Area der indonesischen Zentralregierung.

Bunte Mischung

Dass nicht jeder Abstieg hier tief und strömungsreich sein muss, erfahren wir bei der ebenfalls sehr kurzen Ausfahrt am folgenden Morgen. Präsentiert wird uns jetzt eine Steilwand, ganz sanfte Strömung und dermaßen bunt bewachsene Überhänge, dass wir aus dem Staunen kaum herauskommen. Bei einer Maximaltiefe von 21 Metern. Makroraritäten wie ein Lembeh-Seadragon und zwei Pontohi-Zwergseepferdchen nebst buntem Plattwurm begeistern uns ebenso wie farbenfrohe Schaukelfische und Nacktschnecken.

Als mir dann noch ein Adlerrochen vor die Linse schwimmt, sind wir restlos begeistert. Die nächsten Tauchgänge führen uns zu einer Mischung aus Steilwand mit Überhängen, Grotten und Höhlen, etwas Großfisch und buntem Korallenriff mit Kleinzeug. Und wer zwischendurch nicht zu faul ist, kann im knietiefen Wasser sogar mit jungen Schwarzspitzen-Riffhaien schnorcheln. Das fischreiche Hausriff sollte man sich unbedingt auch mal nachts vom Steg aus ansehen.

Kleiner Haken

Einziger Nachteil ist die kurze Saison in Selayar von nur gut einem halben Jahr. Die restliche Zeit über können durch die exponierte Lage an der ungeschützten Ostküste auch mal viel Regen, vor allem aber Stürme mit hohen Wellen das Tauchen und den regelmäßigen Transfer für Tage oder gar Wochen unmöglich machen. Aber vielleicht kann gerade dieser Umstand die Schönheit der Region, wo sich Banda- und Floressee treffen, vor stärkerer Besiedlung und Massentourismus bewahren. Am letzten Tauchtag haben wir noch mal die Chance auf »Shark Point«. Erneut lassen wir uns vorbei an den Black Snappern in die Tiefe fallen. Nichts für nitroxverwöhnte Flachwassertaucher.

Reiseinfo: Selayar Dive Resort / Sulawesi / Indonesien

Besteht seit: 2000
Lage: an der Südostküste der Insel Selayar, die vor der Südspitze von Sulawesi liegt.
Basisleiter/Besitzer: Jochen Schultheis
Ausbildung: nur auf Anfrage, nach PADI von OWD bis Rescue-Diver möglich.
Tauchen: Vorlage von Brevet, Logbuch und Nachweis einer Tauchunfallversicherung. Der erste Tauchgang findet zur Eingewöhnung immer am Hausriff statt.
Täglich werden zwei Bootstauchgänge sowie unlimitiertes Hausrifftauchen angeboten. Dabei lassen sich rund 20 Tauchspots innerhalb von zwei bis zehn Minuten erreichen. Das Tauchen erfolgt ohne Gruppenzwang im Buddyteam. Es ist immer mindestens ein Guide mit im Wasser. Wegen teils starken Strömungen empfiehlt sich ein Riffhaken.
Die Wassertemperaturen schwanken im Jahresverlauf nur geringfügig zwischen 27 und 29 Grad Celsius. Ein Drei-Millimeter-Anzug ist meist ausreichend.
Boote: 3 GFK-Schnellboote für je 8 Taucher.
Preise: Zwei Bootsausfahrten mit Flasche und Blei sowie unlimitiertes Hausrifftauchen kosten 100 Euro/Tag. Nachttauchen am Hausriff ohne Aufpreis. Der OWD-Kurs (inklusive Brevetierung) kostet 400 Euro plus 100 Euro Tauchpaket pro Tag.
Beste Tauchzeit/Saison: geöffnet nur von Mitte Oktober bis Ende April. Von Oktober bis Dezember sind meist mehr Critter zu sehen, und im Oktober und April bestehen die besten Chancen auf seltene Sargassum-Anglerfische am Hausriff.
Unterkunft: Das Tauchresort verfügt über sieben geräumige Strandbungalows aus Holz mit Ventilator, Kühlschrank und Terrasse sowie zwei neue Strandvillen aus Stein mit Klimaanlage, Minibar und eigenem Freiluftbad für insgesamt maximal 18 Gäste. Kaffee, Tee und Trinkwasser werden gratis angeboten.

Kontakt: www.selayar-dive-resort.com

Anreise: Internationaler Zielflughafen ist Jakarta, Mandao oder Bali. Von dort geht es per Inlandsflug weiter nach Makassar, wo man am besten eine Nacht im Hotel verbringt. Am nächsten Morgen geht es dann per rund fünfstündigem Bus- und 2,5-stündigem Bootstransfer direkt zum Selayar Dive Resort.

Veranstalter:
Aquaventure, Tel: 0511 -690 999 00
www.aquaventure-tauchreisen.de
Sun & Fun Sportreisen
Telefon: 089 – 20 80 76 162
www.sunandfun.com

Preisbeispiel: (von Aquaventure)
Zwei Wochen (14 Nächte) im Selayar Dive Resort im Standard-Strandbungalow mit VP, 10 Tage Tauchen (2 Boots-TG/Tag sowie unlimitiertes Hausrifftauchen inkl. Flasche und Blei), Flug ab/bis Deutschland z.B. mit Singapore Airlines (inkl. Luftverkehrssteuer, Sicherheitsgebühren, Kerosinzuschlag) über Jakarta nach Makassar, eine Hotelnacht in Makassar, alle Transfers: pro Person ab 4250 Euro.