tauchen: Herr Bussau, welcher marine Lebensraum wird von dem Unglück als erstes betroffen sein?
Dr. Christian Bussau: Da das Leck sich in 1500 Metern Tiefe am Tiefseeboden befindet, wird auch die Tiefsee selbst als Erstes betroffen sein. Wie eine ölige Paste legt sich das Öl über den Boden. Die Tiefsee ist ja ein Lebensraum, der noch gar nicht richtig erforscht ist, wir wissen also noch nicht genau, welche Arten betroffen sein werden. Mit Sicherheit sterben aber am Boden lebende Haarsterne, Krebse, Kopffüßer, Seelilien, Borstenwürmer und etliche Tiefseefische.
tauchen: Wie lange wird es dauern, bis das Öl in der Tiefsee abgebaut ist?
Bussau: Da es keine Erfahrungen mit so einem Unglück gibt, wissen wir das nicht. In der Tiefsee herrschen ganz andere Lebensbedingungen als in der Wassersäule oder an der Oberfläche. Die kühleren Wassertemperaturen bewirken einen besonders langsamen Abbau des Öls, da die ölabbauenden Bakterien bei kälteren Temperaturen langsamer arbeiten. Der Abbau des Öls wird also eher lange dauern.
tauchen: Welche Auswirkungen hat das Öl auf die freie Wassersäule?
Bussau: Die Wassersäule zwischen Oberfläche und 1500 Metern Tiefe ist der Lebensraum des Planktons. Hier finden wir alle möglichen Larven-Stadien verschiedenster Meerestiere: Muscheln, Schnecken, Fische und Quallen. Das Plankton wandert innerhalb der Wassersäule: tagsüber, wenn es hell ist, in Richtung Tiefsee und nachts an die Meeresoberfläche. Das Öl setzt sich auf den Tieren ab und verklebt sie, oder sie filtrieren es auf direktem Weg ein und vergiften sich. Die gesamten Auswirkungen sind auch hier nicht bekannt. Das wirkliche Drama der Ölkatastrophe wird sich in der Wassersäule abspielen, nur ist hier das Sterben nicht so sichtbar wie an den Küsten oder an der Oberfläche. Fische, die vom Plankton leben, werden ebenfalls sterben, denn sie nehmen das Öl direkt auf oder verwechseln ihre Beute mit kleinen Ölklumpen. Ein weiterer negativer Faktor: In der Wassersäule zeigen die Strömungen in verschiedene Richtungen, das führt dazu, dass das Öl nicht in der Wassersäule bleibt, sondern weiter verteilt wird.
tauchen: Welche Tiere an der Wasseroberfläche sind vom aktuell 200 Kilometer langen und 100 Kilometer breiten Ölteppich bedroht?
Bussau: Das sind in erster Linie Seevögel, Meeresschildkröten, Delphine, große Wale und Walhaie. Das Fatale für Seevögel: Das Öl auf der Wasseroberfläche bewirkt, dass sich die Meeresoberfläche glättet und Wellenbewegungen abnehmen. Dieser ruhige Meeresbereich zieht die Seevögel an, sie landen lieber dort als anderswo. Leider können sie das Öl nicht erkennen und der Teufelskreis beginnt. Der Ölteppich zieht immer mehr Seevögel an, die auf ihm landen. Die Federn verkleben, und wenn die Vögel sich zu reinigen versuchen, nehmen sie das Öl auf. Der Magen-Darm-Trakt wird verätzt, sie sterben an Vergiftung oder, da die Isolierwirkung der Federn nachlässt, an Unterkühlung. Meeresschildkröten verwechseln die Ölklumpen mit Nahrung und sterben ebenfalls an Vergiftungen. Das Öl verklebt auch ihre Augen und Nasenlöcher, dann ersticken sie qualvoll. Delphine haben genau das gleiche Problem: Da sie an der Wasseroberfläche Luft holen müssen, gelangt das Öl in ihre Atemwegsorgane und führt zur Erstickung.
tauchen: Sind Delphine die einzigen Wale, die betroffen sind?
Bussau: Nein, auch größere Wale, wie die in der Gegend vorkommenden Buckel-, Blau- und Finnwale, sind akut gefährdet. Sie filtern mit ihren Barten das Plankton aus dem Wasser. An den Innenseiten der Barten bleibt dann auch das Öl hängen, das sie dann in großen Mengen aufnehmen. Auch sie sterben am Vergiftungstod.
tauchen: Der Ölteppich hat an einigen Stellen bereits die US-Küste erreicht. Mit welchen Auswirkungen ist zu rechnen?
Bussau: Gelangt das Öl an die Küste, sind die Mangroven sowie die Feucht- und Sumpflandschaften besonders betroffen. Der weiche Untergrund in diesen Biotopen verhindert einen großflächigen Säuberungseinsatz mit Fahrzeugen. Wird der Boden aber mechanisch stark beansprucht, kann das Öl in noch tiefere Bodenschichten eindringen und es dauert noch länger, bis es von den ölabbauenden Bakterien abgebaut wird. Hier bleibt uns nichts anderes übrig, als auf die Reinigungskräfte der Natur zu setzen.
tauchen: Welche Gegenmaßnahmen bei der Bekämpfung des Öls sind geplant und bereits im Einsatz?
Bussau: Das wichtigste am Tiefseeboden ist, das Leck zu stopfen. Das wurde mit UW-Robotern versucht, aber ohne Erfolg. Auch Entlastungsbohrungen waren bislang erfolglos. Nun soll eine Glocke zum Einsatz kommen (mehr über die Absaug-Glocke lest ihr in der News vom 4. Mai; Anm. d. Red.). Alle weiteren Gegenmaßnahmen sind direkt vom Erfolg des Abdichtens des Lecks abhängig. Den Ölteppich versuchen Einsatzkräfte mit Schiffen und Ölbarrieren einzudämmen. Dafür ist aber gutes Wetter und ruhige See unbedingt notwendig. Chemikalien sollen verhindern, dass sich Öl an der Oberfläche in kleine Tropfen auflöst. Diese sind einerseits dann leichter von ölabbauenden Bakterien zu zersetzen, andererseits verkleben diese feinen Tröpfchen das Gefieder der Seevögel nicht so stark. Das Problem: Die Chemikalien sind selbst auch giftig und lagern sich am Meeresboden ab. Wenn das Öl die Küste erreicht hat, kommen Einsatztruppen mit Schutzanzügen und -masken sowie Eimern, Schaufeln und Gummistiefeln zum Einsatz, sie sammeln das Öl ein. Dabei darf man nicht vergessen: Dies ist eine gefährliche, schweißtreibende Arbeit, die nichts für Kinder oder Jugendliche ist.