Wandel im arktischen Wasser?

Dass die Eisbedeckung der Arktis während der Sommermonate in den vergangenen 30 Jahren um 40 Prozent zurückgegangen ist, können Wissenschaftler mit Satellitenaufnahmen relativ einfach nachweisen. Doch die Prozesse, die diesem Rückgang zugrunde liegen, sowie mögliche Auswirkungen sind bisher nur zu einem kleinen Teil bekannt. In dem mehrjährigen Projekt „Laptev-See-Polynja“ versuchen Wissenschaftler aus Deutschland und Russland gemeinsam, den Ursachen und Folgen des Klimawandels und seinen speziellen Mechanismen in der Arktis auf die Spur zu kommen. Dabei stießen Forscher des Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) jetzt auf Veränderungen der Wassermassenverteilung in der sibirischen Laptev-See, die auch Auswirkungen auf die Eisbildung in der gesamten Arktis haben könnten.

Isotopenverhältnisse im Fokus
Polynjas, die im Fokus der Untersuchungen stehen, sind offene Wasserflächen zwischen festem Küsteneis und treibendem Meereis vor den Küsten Sibiriens. In diesen Wasserflächen entsteht während der Wintermonate neues Eis für den arktischen Ozean. Wegen der extremen Wetterbedingungen können die Wissenschaftler diesen Prozess im Winter aber nur eingeschränkt beobachten. Deshalb greifen sie in die physikalische Trickkiste. Im Meerwasser kommen zwei verschiedene Varianten des Wassermoleküls, sogenannte Isotope, vor. Wo Wasser zu Eis gefriert, ändert sich das Mengenverhältnis dieser Isotope zueinander. Diese Veränderung ist noch Monate später messbar. Im Sommer, wenn die Küstengewässer Sibiriens eisfrei sind, können die Wissenschaftler verhältnismäßig einfach Wasserproben nehmen und in ihnen die Verschiebung des Isotopenverhältnisses aus dem vergangenen Winter nachweisen. „So können wir Aussagen darüber zu treffen, wo, wann und wie viel Eis im Winter zuvor gebildet wurde“, erklärt die Physikerin Dr. Dorothea Bauch vom IFM-GEOMAR, Hauptautorin der aktuellen Studie.
Verräterischer Salzgehalt
Obwohl die Eisbildung an der Meeresoberfläche abläuft, fanden die Forscher die dazu passenden Isotopen-Spuren vor allem in Wasserproben vom Grund der Laptev-See. „Dafür gibt es eine logische Erklärung“, sagt Dr. Bauch. „Friert an der Meeresoberfläche Wasser, wird Salz ‚ausgefroren‘, das zurückbleibende Wasser ist also sehr salzreich. Daher ist das vom Gefrierprozess markierte Wasser schwerer als das der Umgebung und sinkt zum Meeresboden.“ Messergebnisse aus dem Jahr 2007 zeigen jedoch ein ganz anderes Bild: Die gesuchten Isotopenspuren fanden sich nahe der Wasseroberfläche. „Das widerspricht unserem bisherigen Vorstellungen von der Schichtung und der Verteilung der Wassermassen in der Region“, sagt Dr. Bauch. Eine Erklärung dafür könne eine Veränderung in den Mechanismen sein, die zur winterlichen Eisbildung beitragen, führen die Autoren in ihrer Studie aus. 2007 war für die Eisbedeckung der Arktis ein Extremjahr – seit Beginn wissenschaftlicher Aufzeichnungen hat es in den Sommermonaten nie so wenig Eis im nördlichen Ozean gegeben wie in diesem Jahr. „Ein Zusammenhang mit der auffälligen Verteilung der Isotopenspuren ist also wahrscheinlich“, erklärt Dr. Bauch.

Mechanismen der Eisbildung
Sollte sich die Entdeckung als Trend erweisen, könnte das bedeuten, dass mehr salzreiches Wasser in die arktische Oberflächenwasserschicht gelangt. Bisher wirkte das salzarme Oberflächenwasser wie ein Isolator gegen das verhältnismäßig warme Tiefenwasser, das aus dem Atlantik in den arktischen Ozean strömt. „Wenn man bedenkt, dass Meerwasser erst bei minus 1,8 Grad Celsius friert, das Wasser aus dem Atlantik aber mit Temperaturen knapp über dem Nullpunkt in die Arktis kommt, dann würde eine Schwächung der isolierenden Oberflächenwasserschicht den Rückgang des Meereises weiter beschleunigen“, betont Dr. Bauch. Bisher sei die Datenmenge allerdings zu gering, um eine andauernde Veränderung zu bestätigen. So zeigt die aktuelle Entdeckung vor allem auch eines: „Wir wissen einfach noch viel zu wenig über die Mechanismen der Eisbildung und der Wasserverteilung in der Arktis“, so die Physikerin.

Weitere Expedition läuft
Zusätzliche Daten soll die Expedition „TRANSDRIFT XVII“ im Rahmen des Projekts „Laptev-See-Polynja“ bringen, die gegenwärtig in der russischen Laptev-See unter Fahrtleitung des IFM-GEOMAR stattfindet. „Leider erhalten wir aufgrund der schwierigen Umweltbedingungen mit jeder Expedition nur Stichproben. Dabei ist die Arktis ein in Hinblick auf den Klimawandel enorm wichtiges Gebiet. Bei allem wissenschaftlichen Fortschritt fangen wir gerade erst an, es zu verstehen“, betont die Projektleiterin Dr. Heidemarie Kassens vom IFM-GEOMAR.Weitere Infos: www.ifm-geomar.de