Atlantikwasser wärmt die Arktis auf

Nie in den vergangenen 2000 Jahren war das atlantische Wasser in der östlichen Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen so warm wie heute. Dies belegt eine Untersuchung von Meeressedimenten am westlichen Kontinentalhang Spitzbergens, die federführend von Wissenschaftlern des Leibniz-Institut für Meereswissenschaften IFM-GEOMAR und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, gemeinsam mit Kollegen aus Bremerhaven, Tromsö (Norwegen) und Boulder (USA) durchgeführt wurde.  Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass der Rückgang der arktischen Meereisbedeckung und die rasche Erwärmung der Arktis mit dieser deutlich verstärkten Wärmezufuhr aus dem Atlantik in Zusammenhang stehen. Die entsprechende Studie erscheint in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Science“.
Die Framstraße zwischen Grönland und Spitzbergen ist die wichtigste Verbindung zwischen dem Arktischen Ozean und den übrigen Weltmeeren. Auf der Ostseite der Meeresstraße fließen warme und salzreiche Wassermassen aus dem Nordatlantik in die Arktis. Dieser warme Strom, die nördlichste Fortsetzung des Golfstroms, sorgt sogar im Winter für überwiegend eisfreie Bedingungen westlich von Spitzbergen. Wissenschaftler des Kieler Leibniz-Instituts für Meereswissenschaften (IFM-GEOMAR) und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz, konnten jetzt zusammen mit Kollegen des Alfred-Wegener-Instituts für Polar und Meereforschung in Bremerhaven sowie Kollegen aus Tromsö (Norwegen) und Boulder (USA) anhand von Meeressedimenten nachweisen, dass die Wassertemperaturen des einströmenden Atlantikwassers in der östlichen Framstraße im Verlauf der vergangenen 2000 Jahre immer wieder um mehrere Zehntel Grad Celsius schwankten. Der jüngste Temperaturanstieg um etwa 2 Grad Celsius in den vergangenen 100 Jahren ist jedoch beispiellos im untersuchten Zeitraum. „Eine solche Erwärmung von Atlantikwasser in der Framstraße hebt sich wesentlich von den Klimaschwankungen der vergangenen 2000 Jahre ab“, sagt Dr. Robert Spielhagen, der für die Mainzer Akademie als Paläoozeanograph am IFM-GEOMAR forscht. Er ist Erstautor der Studie, die in der aktuellen Ausgabe von „Science“ erscheint.
Da kontinuierliche meteorologische und ozeanographische Messdaten nur etwa 150 Jahre zurückreichen, müssen die Wissenschaftler für die Untersuchung des Klimas der Vergangenheit indirekte Klimaarchive wie zum Beispiel Eisbohrkerne oder Sedimentkerne nutzen. Für die Rekonstruktion der Wassertemperaturen in der Framstraße nutzten die Autoren der „Science“- Studie spezielle Arten von Foraminiferen. Diese tierischen Einzeller leben in Wassertiefen von 50 bis 200 Metern und bilden während ihres Lebenszyklus Kalkschalen aus. Sterben sie ab, sinken die Schalen auf den Meeresboden, wo sie im Laufe der Zeit von Sediment bedeckt werden. So bleiben die Schalen als Fossilien im Meeresboden über lange Zeiträume gut erhalten. Da bestimmte Foraminiferen-Arten ganz spezielle Wassertemperaturen bevorzugen, können die Wissenschaftler anhand der im Meeresboden gefundenen Arten und ihres Alters die ozeanischen und klimatischen Bedingungen der Vergangenheit rekonstruieren. Parallel untersuchten sie die chemische Zusammensetzung der fossilen Kalkschalen, die ebenfalls Rückschlüsse auf Temperaturen in der Vergangenheit zulassen. So stellten Spielhagen und sein Team anhand zweier unabhängiger Untersuchungsmethoden fest, dass es während der jüngsten 2000 Jahre der Erdgeschichte immer wieder deutliche Schwankungen zwischen wärmeren und kühleren Phasen gab: „Besonders kalt war es während der ‚Kleinen Eiszeit‘, von etwa Mitte des 15. bis ins späte 19. Jahrhundert“, erklärt Koautorin Kirstin Werner vom IFM-GEOMAR. Ungewöhnlich viele wärmeliebende Foraminiferenarten, die mit dem Atlantischen Wasser in die Arktis transportiert werden, fanden die Autoren der Studie dagegen in den allerjüngsten Ablagerungen. Beide Untersuchungsmethoden zeigten übereinstimmend einen Temperaturanstieg von etwa 2 Grad Celsius in den letzten 100 Jahren. „Die heutigen Temperaturen des Atlantikwassers in der Framstraße liegen ca. 1,5 Grad Celsius höher als etwa im klimatisch warmen Hochmittelalter. Vieles spricht dafür, dass der beschleunigte Rückgang des Meereises und die in den letzten Jahrzehnten gemessene Erwärmung von Ozean und Atmosphäre in der Arktis unter anderem eine Folge des verstärkten Wärmetransports aus dem Atlantik sind“, so Robert Spielhagen.
Eine fehlende Meereisbedeckung verstärkt die Klimaveränderungen in der Arktis, wo anstelle der Rückstrahlung der Sonnenenergie durch das helle Eis („Eis-Albedo-Effekt“) die Wärme vom dunkleren Ozeanwasser aufgenommen und nachfolgend teilweise an die Atmosphäre abgegeben wird. Die aktuell in „Science“ publizierten Ergebnisse bestätigen eine weitere, am IFM-GEOMAR durchgeführte Untersuchung über den Verbleib des Atlantischen Wassers auf den sibirischen Schelfen im Arktischen Ozean. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „System Laptev-See“ fanden die Autoren jener Studie, die 2010 in der Fachzeitschrift Journal of Geophysical Research veröffentlicht wurde, die Schicht mit warmem Atlantischen Wasser in deutlich geringeren Wassertiefen als in den vorangegangen  80 Jahren. Sollte sich die Atlantikwasserschicht weiter erwärmen und ausdehnen, so könnte dies dramatische Folgen für die Eisbildung und Eisbedeckung im Arktischen Ozean haben. Weitere Infos: www.ifm-geomar.de