Große Arktis-Expedition beginnt

Heute, am 14. Mai, sticht das Greenpeace-Schiff „Esperanza“ von Kiel aus in Richtung Arktis in See. An Bord befinden sich Klimawissenschaftler, die bis Ende August rund um Spitzbergen die Folgen des Klimawandels untersuchen werden. Die Arktis ist eines der letzten nahezu intakten großen Ökosysteme dieser Erde. Oder korrekter: war es vielmehr. Denn die Arktis ist eine der Regionen, die durch den Klimawandel am stärksten betroffen ist. Die Auswirkungen sind bereits jetzt greifbar. Das Eis schmilzt rasant, Permafrostböden tauen auf. Zum anderen weckt das zurückgehende Eis Begehrlichkeiten. Im arktischen Ozean werden große Öl- und Gasvorkommen vermutet. Auch die reichen Fischvorkommen in der Arktis locken hoch industrialisierte Fangflotten, die immer tiefer in die arktischen Gewässer vordringen. Ein übergeordnetes Abkommen, das den Schutz und die Nutzung in der Arktis regelt gibt es jedoch nicht. So liegt vor uns die einmalige Chance, ein einzigartiges Ökosystem zu bewahren und zu zeigen, wie man nachhaltige Nutzung und Schutz vereinbaren kann.

Im Fokus der Reise stehen folgende wissenschaftliche Untersuchungen:

1. Forschung zur Ozeanversauerung
Greenpeace unterstützt die Forschungsarbeit des IFM GEOMAR zur Ozeanversauerung, die im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes EPOCA durchgeführt wird. Während die Auswirkungen des Treibhauseffektes durch fossile Brennstoffe wie Kohle und Öl auf die globale Erwärmung bekannt sind, ist die Ozeanversauerung eine weniger bekannte Folge des Kohlendioxid (CO2), das in die Atmosphäre ausgestoßen wird. Circa ein Drittel des vom Menschen produzierten CO2 haben die Ozeane seit Beginn der industriellen Revolution aufgenommen. Die steigende Aufnahme führt im Meer jedoch zu einer Verschiebung des ph-Wertes, kurz: das Meerwasser wird saurer. Eine der wahrscheinlichsten Konsequenzen wird das verlangsamte Wachstum von Organismen sein, die ein Skelett oder Schalen aus Kalk bilden (z.B. Korallen oder Muscheln). Die Forscher aus Kiel werden auf Spitzbergen die Ozeanversauerung in sogenannten „Mesokosmen“ simulieren und die Auswirkungen auf das Ökosystem beobachten.

2. Fischerei & unbekannte Tiefen des Ozeans
Der zweite Teil der Reise führt die „Esperanza“ in die Barentssee nördlich von Spitzbergen. Durch das zurückweichende Meereis beginnt der Wettlauf um die Ausbeutung der Arktis. Neben der Gier der Anrainerstaaten, die vermuteten Öl- und Gasreserven oder Mineralien aus der Tiefe des arktischen Ozeans zu bergen, lassen neue Fischgründe die Herzen der industriellen Fangflotten höher schlagen. Sie bewegen sich immer weiter nach Norden an die Kante des arktischen Meereises heran und beinträchtigen mit ihren Grundschleppnetzen ein Gebiet, das bisher natürlicherweise durch das Eis geschützt war. So werden möglicherweise Wunder in den Tiefen des arktischen Ozeans von den Fischereiflotten mit Grundschleppnetzen zerstört, bevor sie überhaupt entdeckt wurden. Dieses Gebiet ist für den Menschen ein schwarzer Fleck, der für die Forschung bisher nicht zugänglich war.
Greenpeace wird daher in einem Gebiet in der nördlichen Barentsee dicht an der sogenannten „Eiskante“ unterwegs sein und die Fischerei über und unter Wasser dokumentieren. Zum anderen werden wir dieses unerforschte Gebiet kartieren, d.h. mit einem so genannten „Mehrstrahl Echolot“ das Bodenprofil aufnehmen und mit einer Unterwasserkamera (ROV, Remote Operated Vehicle) und Unterwasserobotor die vorhandene Strukturen filmen.

3. Gletscherschmelze Grönlands
Dr. Gordon Hamilton (University of Maine) und Dr. Fiamma Straneo (Woods Hole Oceanographic Institute) werden die im letzten Jahr installierten Messgeräte im Kangerdlugssuaq Fjord auf der Südostseite Grönlands wieder einholen und so neue Ergebnisse zur Gletscherschmelze erhalten. Die Forscher erhielten während der Expedition im letzten Jahr die ersten Belege für Ihre Hypothese, dass die rasante Gletscherschmelze Grönlands im Zusammenhang mit warmen subtropische Wassern, die in die Fjorde Grönlands vordringen, steht. Beim Einholen der in letztem Jahr installierten Messgeräte erhalten die Forscher nun eine Datenserie eines gesamten Jahresverlaufs und damit weitere Belege für ihre Theorie. Die Arbeiten von Straneo und Hamilton sind von besonderer Bedeutung, um die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels in der Arktis genauer zu untersuchen und vor allem akkurater vorauszusagen. In den bisherigen Prognosen des Weltklimarates IPCC waren die Schmelze der grönländischen Gletscher unzureichend eingeflossen.
4. Rückgang des arktischen Meereises
Prof. Dr. Peter Wadhams (University Cambridge) vermutet, dass bereits 2020 der arktische Ozean im Sommer eisfrei sein wird. Er und sein Team werden sich in diesem Jahr vor allem auf die Abnahme der Dicke des Eises konzentrieren und dazu mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeug (AUV) die Unterseiten der Eisschollen und ihrer Schmelzkiele erforschen. Zusätzlich werden Bohrkerne der Schollen entnommen. Der Rückgang des arktischen Meereises in seiner Ausdehnung ist weitaus bekannter als die Tatsache, dass auch die Dicke deutlich abnimmt. Beides ist jedoch entscheidend für die Prognosen der Auswirkungen des Klimawandels auf das Eis des Polarmeers: Nicht nur für die Modelle der Klimaforscher, auch für die Bewohner vor Ort – Robben, Eisbären oder Inuits, die dünnes Eis nicht mehr trägt.

Die Ergebnisse dieser Expedition wird Greenpeace der 16. UN-Klimakonferenz in Mexico-Stadt Ende November 2010 zur Verfügung stellen. Wer mehr über den Klimawandel wissen möchte und warum die Meere immer wärmer, saurer und höher werden, sollte sich die tauchen-Ausgabe 08/10 vormerken. Im Bereich der Biologie klären wir über den Klimawandel auf und zeigen welche kontroversen Standpunkte die Klimawandel-Skeptiker vertreten. Über den Verlauf der Greenpeace-Expedition werden wir mit News, Videos und Interviews berichten.